Im Hauch des Abendwindes
Tier verliert. Glaub mir, sein Kamelhengst hat nicht das Geringste zu befürchten.«
Kadee und Flake hatten das Training bereits wieder aufgenommen. Mick und Ruby schauten ein paar Minuten zu, wie die Stute in kurzem Galopp ein paar Runden auf der Rennbahn drehte und dann in den gestreckten Galopp wechselte.
»Die Verletzung scheint sie überhaupt nicht zu beeinträchtigen«, sagte Mick erfreut.
»Du meine Güte, ist die schnell!«, staunte Ruby tief beeindruckt. »Sieh dir das an!« Sie sah zum ersten Mal in ihrem Leben aus nächster Nähe ein Rennpferd in Aktion, und der Anblick des edlen Tiers, das mit großer Geschwindigkeit dahinjagte, übte eine Faszination aus, der sie sich nicht entziehen konnte.
»Das ist noch gar nichts«, erwiderte Mick, der angesichts von Rubys Begeisterung lächeln musste. »Du solltest sie erleben, wenn sie so richtig aufdreht.«
Der kleine, schmächtige Jockey stand in den Steigbügeln und hatte sich weit über den Hals des Pferdes gebeugt. Er konzentrierte sich ganz auf seine Arbeit mit Flake.
Ruby konnte sich kaum losreißen von dem Anblick, um das Futter für Flake zu mischen. Danach meinte Mick mit einem Blick auf seine Armbanduhr: »Ich würde gern bleiben und dich mit Kadee bekannt machen, aber ich muss zurück in den Pub, sonst steht Jacko vor verschlossenen Türen, wenn er kommt.«
»Geh du nur, ich bleib noch ein bisschen«, sagte Ruby. »Ich werde später zu Fuß zurückgehen.«
»Bist du sicher? Heute wird es verdammt heiß. Ich könnte dich in einer Stunde, sobald ich alles erledigt habe, abholen, wenn du willst.«
Ruby schüttelte den Kopf. »Ich werd zu Fuß gehen. So weit ist es ja nicht.«
»Dann nimm wenigstens meinen Hut, damit du keinen Sonnenstich kriegst.«
»Danke, das ist lieb von dir.« Ruby nahm den Filzhut und setzte ihn auf. »Zu dumm, dass ich meine Sonnenbrille vergessen habe. Aber als du mich heute Morgen abgeholt hast, war von der Sonne noch nicht viel zu sehen.«
Mick lächelte, und sie lächelte zurück. »Mein Hut steht dir gut«, sagte er.
Unter der Hutkrempe schienen ihre Augen noch intensiver zu strahlen. Eine aberwitzige Sekunde lang verspürte er den unbändigen Wunsch, sie zu küssen.
»Ich komme mir wie ein richtiges Mädchen vom Land vor«, sagte Ruby. Ganz plötzlich hatte sie Heimweh. »Darf ich später meine Mom anrufen, Mick?«, fragte sie leise.
Sie hatte ihr zweimal geschrieben und einmal mit ihr telefoniert, aber in diesem Moment sehnte sie sich mehr denn je danach, ihre Stimme zu hören.
»Klar doch.« Der Zauber war gebrochen. Mick straffte sich und ging zu seinem Wagen. »Soll ich dich nicht doch lieber abholen?«, rief er über die Schulter.
»Nein, nein, wir sehen uns später.«
Ruby stand bei den Pferchen, als Kadee ein paar Minuten später mit Flake kam.
»Hallo, ich bin Ruby Rosewell, die Miteigentümerin von Silver Flake.«
Kadee war bereits von Mick informiert worden. »Hallo, ich bin Kadee«, antwortete der Jockey mit sanfter Stimme und stieg ab.
»Ja, ich weiß.« Ruby musterte die schmächtige, schlanke Person in der engen Hose, den abgetragenen staubigen Reitstiefeln und dem blau karierten Hemd, das viel zu groß war. Wahrscheinlich hatte es einmal einem kräftigeren Mann, wie zum Beispiel Jed, gehört. Dann nahm Kadee den Hut ab. Die Haare, die darunter zum Vorschein kamen, sahen aus wie mit einem Messer abgesäbelt.
Die milchkaffeebraune Haut und die für einen Aborigine ungewöhnlich feinen Gesichtszüge deuteten darauf hin, dass sich Weiße unter Kadees Vorfahren befanden. Die großen braunen Augen waren von langen Wimpern gesäumt, das freundliche Lächeln zeigte zwei Reihen perlweißer Zähne.
»Sie reiten wirklich gut«, fügte Ruby in aufrichtiger Bewunderung hinzu.
»Das Pferd läuft ganz von allein, ich muss mich bloß im Sattel halten«, scherzte Kadee. »Wie geht’s Jed?«
»Schon besser. Er wird heute wieder mit Schlamm behandelt. Mick hat Ihnen bestimmt von dieser Heilmethode der Aborigines erzählt, oder?«
»Ja, das hat er.« Kadee nahm den Sattel herunter. »Er hat gesagt, Jed habe starke Schmerzen. Ich kenne mich aber offen gestanden nicht so gut mit der Heilkunst der Ureinwohner aus. Hoffen wir, dass es ihm hilft.«
Ruby nickte. »Das Nichtstun macht ihn fast wahnsinnig, er ist ein ziemlich schwieriger Patient.« Sie sah Kadee zu, dessen lässige Selbstverständlichkeit und Sicherheit im Umgang mit dem Pferd sie unwillkürlich beneidete. Obwohl der Jockey nicht älter als
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