Im Hauch des Abendwindes
neunzehn oder zwanzig sein konnte, verfügte er offensichtlich bereits über eine langjährige Erfahrung mit Pferden.
»Wie lange wird es noch dauern, bis er Silver Flake wieder trainieren kann?«, erkundigte sich der Jockey.
»Ich weiß nicht genau. Ein paar Wochen, denke ich.«
»Dann wird er Silver Flake nicht zum Alice Springs Cup melden können.« Kadee griff zum Schlauch und spritzte die Stute ab. Die schien die Dusche zu genießen. Sie hob zwar den Kopf, als der Wasserstrahl auf ihre Brust und ihren Hals traf, wich aber nicht zurück. Kadee lachte und hielt das Gesicht in den feinen Sprühregen, den der heiße Wind zurückwehte.
»Genau das will er aber. Deshalb sollen Sie das Training langsam steigern. Ich würde Ihnen gern helfen, wenn ich kann.«
»Reiten Sie?«, fragte der Jockey. Er stellte das Wasser ab und rieb die Stute trocken, wobei er um die Wunde herum ganz vorsichtig war.
Ruby schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, leider nicht. Ich wünschte, ich könnte so über die Bahn galoppieren wie Sie. Aber vielleicht kann ich ja irgendetwas anderes tun.«
»Ich muss mit Jed unbedingt wegen des Trainings reden«, murmelte Kadee sorgenvoll.
Ruby runzelte die Stirn. »Warum? Stimmt etwas nicht?«
»Ich kann Silver Flake nicht mehr lange trainieren, höchstens noch ein paar Tage.«
Ruby fiel der Unterkiefer herunter. »Das kann nicht Ihr Ernst sein! Wir brauchen Sie doch!«
»Tut mir leid, aber es geht nicht. Und ich kann auch das Rennen in Alice Springs nicht reiten.«
»Aber wieso denn nicht?«, fragte Ruby fassungslos.
»Es gibt da etwas, das Jed nicht weiß.«
»Und das wäre?«
Kadee zögerte.
»Silver Flake gehört auch mir. Ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren.«
»Na ja, bei mir ist etwas unterwegs.«
Ruby machte ein verwirrtes Gesicht. »Wie, unterwegs?«
Kadee zog das blau karierte Hemd ein Stück hoch. Über den schmalen Hüften war ein rundliches Bäuchlein zu sehen.
Ruby riss Mund und Augen auf. Sie starrte erst auf Kadees gewölbten Bauch und dann in ihr Gesicht.
»Ich erwarte ein Kind, und die Frauen meines Clans wollen nicht, dass ich länger reite, weil ich schon einmal ein Baby verloren habe. Ich habe ihnen versprochen, dass ich Jed heute sagen würde, dass ich nicht mehr reiten werde. Wenn sie wüssten, dass ich mein Versprechen gebrochen habe, wäre ich in ziemlichen Schwierigkeiten.«
»A-aber das ist doch nicht möglich!«, stotterte Ruby. »Ich meine, wie können Sie schwanger sein? Ich dachte …« Verwirrt brach sie ab.
»Was?« Kadee zog die Stirn kraus.
»Es ist nur … Ich meine, mir hat niemand gesagt, dass … Ich wusste nicht, dass Kadee ein Mädchenname ist, deshalb habe ich Sie …« Für einen Mann gehalten, wollte sie eigentlich sagen, fürchtete aber, den Jockey damit zu kränken. Deshalb fuhr sie fort: »Ich meine, Sie reiten so gut, dass ich davon ausgegangen bin, Sie seien ein Mann. Entschuldigen Sie.«
Kadee sah sie befremdet an. »Frauen können genauso gut reiten wie Männer«, erwiderte sie leicht verschnupft.
»Ganz bestimmt sogar, aber ich hatte den Eindruck, dass Jed das anders sieht. Es tut mir wirklich leid.« Ruby merkte selbst, dass sie wirres Zeug redete. »Falls es Sie tröstet – ich dachte, Sie seien ein gut aussehender junger Mann mit einer sanften Stimme.«
Kadees Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
»Was ist denn mit Ihren Haaren passiert? Ich bin Friseurin, deshalb frage ich. Es sieht fast aus, als wären sie mit einem Messer abgeschnitten worden. Warum macht ein Mädchen so etwas?«
»Ich wusste noch nicht, dass ich schwanger war, als ich mir die Haare abgeschnitten habe – mit einem Messer, stimmt, weil ich keine Schere hatte. Sie waren zu lang geworden; ich wäre nicht mehr als Junge durchgegangen und hätte nicht mehr am Rennen teilnehmen können.«
»Moment mal. Was heißt, Sie wären nicht mehr als Junge durchgegangen?«
»Weibliche Jockeys dürfen nicht zum Rennen gemeldet werden, deshalb reite ich immer als Junge.«
Ruby konnte es nicht fassen. »Und Sie sind damit durchgekommen?«
»Sie haben doch auch nichts gemerkt. Warum sollten andere Verdacht schöpfen?«
Da hatte sie allerdings Recht. »Ich bin eben davon ausgegangen …«
Kadee ließ Ruby nicht ausreden. »So wie alle anderen auch. Ich habe keine besonders weibliche Figur und trage meine Haare kurz. Außerdem sind die meisten Jockeys Weiße, die nichts mit einem Aborigine zu tun haben wollen. Das macht es für mich leichter, sie
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