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Im Hauch des Abendwindes

Im Hauch des Abendwindes

Titel: Im Hauch des Abendwindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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Mutter war anfangs nicht begeistert gewesen, als ihre Tochter sich mit Myra anfreundete, weil sie den Weißen mit Misstrauen gegenüberstand. Doch Girra hatte ihre Mutter mit der Zeit davon überzeugen können, dass Myra eine Freundin war.
    Myras erster Gedanke beim Anblick der aufgeregt wirkenden Aborigines war, dass sie Girra gefunden hatten und ihr irgendetwas zugestoßen war.
    »Was ist passiert, Jinny?«, fragte sie und hielt unwillkürlich den Atem an.
    »Die bösen Männer«, keuchte Jinny. »Die bösen Männer kommen! Girra! Wo ist Girra? Ich brauche sie doch!«
    »Jetzt beruhige dich erst mal, Jinny. Was für böse Männer? Wovon redest du? Vielleicht kann ich dir ja helfen.«
    Jinny drückte ihre Kinder fest an sich und wimmerte: »Die Weißen – sie wollen mir meine Kleinen wegnehmen! Du musst mir helfen.«
    »Das werde ich, Jinny, komm erst mal rein.« Myra zog die drei ins Haus. Sie war froh, dass Jinny wenigstens so gut Englisch sprach, dass sie sich verständlich machen konnte. »Girra ist demnach noch nicht wieder aufgetaucht?«
    Jinny schüttelte den Kopf. In ihren Augen schimmerten Tränen. »Vielleicht ist sie den weißen Männern in die Hände gefallen.«
    Myra wünschte fast, es wäre so, denn das würde bedeuten, dass Charlie nichts mit ihrem Verschwinden zu tun hatte.
    Als Jinny sich ein wenig beruhigt hatte, erzählte sie, ein Auto mit zwei weißen Männern darin sei am Lager ihres Clans vorgefahren, und die Männer hätten sich nach den Kindern der Angiwarras erkundigt. Die Kinder seien nicht da, habe sie erwidert, sie seien mit den Älteren auf der Suche nach Honigameisen, die als eine süße Leckerei galten.
    »Die Männer sind gekommen, weil sie mir Oola und Myall wegnehmen wollen«, jammerte Jinny.
    Die Weißen konnten aber die Aborigines offenbar nicht auseinanderhalten und erkannten die Angiwarras nicht. Als plötzlich alle im Lager anwesenden Mütter, die ebenfalls um ihre Kinder bangten, in verschiedene Richtungen davonrannten, war es Jinny im allgemeinen Durcheinander gelungen zu fliehen. Sie hatte Oola und Myall gefunden und hergebracht, weil Myras Haus ihr das sicherste Versteck zu sein schien.
    »Wer sind diese Männer?«, fragte Ruby, die verwundert zugehört hatte.
    »Wahrscheinlich sind sie vom Ausschuss zum Schutz der Aborigines«, stieß Myra gepresst hervor und fügte schnaubend hinzu: »Diese Bezeichnung ist ein absoluter Witz!«
    »Und warum sollen die Kinder ihren Eltern weggenommen werden?«
    »Angeblich geschieht das nur zu ihrem eigenen Besten, aber der wahre Grund ist, dass Weiße unter ihren Vorfahren waren.«
    »Im Ernst?«, staunte Ruby, die das beim Anblick der dunkelhäutigen Kinder kaum glauben konnte.
    Myra nickte. »Ich glaube, in den Adern von Oolas und Myalls Großvater floss weißes Blut. Die Regierung will diese Kinder in die weiße Gesellschaft eingliedern, mit dem Ziel, dass es irgendwann keine Ureinwohner mehr gibt.«
    Ruby war einen Augenblick sprachlos. »Aber wieso denn?«
    »Weil sie die Aborigines für minderwertig halten, auch wenn sie das offiziell nie zugeben würden. Sie nehmen die Kinder unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand wie Vernachlässigung ihren Eltern weg und stecken sie in staatliche Waisenhäuser oder kirchliche Einrichtungen. Viele werden in weiße Familien vermittelt, wo sie ihr Dasein als Dienstboten fristen. Helen Carter macht das rasend, weil diese Kinder keine Schule besuchen, keine Ausbildung bekommen, nichts. Sie werden aus ihren Familien herausgerissen und sind letztendlich noch schlimmer dran als zuvor. Sie lernen nichts über ihre Herkunft, über die Sitten und Bräuche ihres Volkes. Und sie integrieren sich ganz bestimmt nicht in die Gesellschaft der Weißen.«
    Als Myra geendet hatte, wandte sich Jinny an sie. Sie hatte kaum etwas von dem verstanden, was Myra Ruby erklärt hatte, aber sie bat sie inständig, Oola und Myall bei sich zu verstecken.
    Myra zögerte. Sie würde sich eine große Verantwortung aufbürden.
    »Du kannst ihr das nicht abschlagen«, sagte Ruby. »Jinny und ihre Mutter haben Jed geholfen.«
    »Ich weiß, aber wenn nun etwas passiert? Dann werden Jinny und Toby mir die Schuld geben.«
    »Du bist ihre einzige Hoffnung, Myra.«
    Myra seufzte. »Also gut. Lass die Kinder hier«, sagte sie zu Jinny. Diese dankte ihr und versprach, die Kleinen zu holen, sobald es dunkel geworden war.
    Als sie fort war, schenkte Myra den Kindern etwas zu trinken ein. »Hoffentlich kommen die Männer von der Regierung

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