Im Hauch des Abendwindes
wirklich. Ich finde es bombig, wie sich die Leute in Silverton umeinander kümmern.«
»Bombig«, wiederholte Jed lachend. »So redet nur ein Stadtmensch. Ich komme mir richtig alt vor, wenn ich dich so reden höre.«
»Ohne diesen struppigen Bart siehst du viel jünger aus.«
»Ich bin zweiunddreißig. Ich sollte mich irgendwo niederlassen und eine Familie gründen, anstatt mit einem Pferd durch die Lande zu ziehen.«
»Würdest du das gerne? Eine Familie gründen, meine ich.«
Jed wandte sich Ruby zu. »Ja, ich glaub schon. Allein kann das Leben ziemlich einsam sein.«
Ruby antwortete nicht. Sie sah Jed an, und plötzlich begann ihr Herz zu klopfen. Was geschieht mit mir?, dachte sie. Langsam beugten sie sich zueinander, ihre Lippen berührten sich sanft. Zuerst war es ein zögernder Kuss, dann legte Jed seine Arme um Ruby, und ihre Sinne gerieten in Aufruhr, als er sie leidenschaftlich küsste. Nach einer scheinbaren Unendlichkeit lösten sie sich voneinander.
»Was ist bloß in diesem Wein?«, fragte Ruby und blickte Jed lächelnd an.
»Keine Ahnung, aber ich werde Bill bitten, mir noch eine Flasche zu besorgen«, meinte Jed.
Und dann fanden sich ihre Lippen erneut zu einem Kuss, der nicht enden wollte.
26
Ruby fuhr jäh aus dem Schlaf auf. Ihr Herz raste, ihre Handflächen waren schweißnass. Sie hielt ihr Handgelenk ins Mondlicht, das durch das Wohnmobilfenster hereinfiel, um die Uhrzeit ablesen zu können. Kurz nach drei. Sie hatte einen Albtraum gehabt, der sie zutiefst aufgewühlt hatte. Sie konnte sich nur noch erinnern, dass es irgendetwas mit Gavin und Chrissie Williams zu tun gehabt hatte.
Durchs Fenster konnte Ruby Jed sehen, der in seinem Schlafsack zwischen den beiden alten Hunden neben der schwachen Glut der Feuerstelle lag und friedlich schlief.
»O Gott, was hab ich mir nur dabei gedacht?«, stöhnte Ruby, als sie an den Abend zuvor dachte.
Sie ließ sich aufs Kissen zurückfallen und versuchte, die Erinnerung an die Leidenschaft, die zwischen ihnen aufgeflammt war, zu verdrängen. Es war nicht zu weit gegangen, aber weit genug. Und es war Jed gewesen, der einen kühlen Kopf bewahrt hatte. Er hatte befürchtet, dass der Wein die Ursache für ihre Leidenschaft war. Das an sich war schon Demütigung genug.
Das Letzte, was sie jetzt brauchen konnte, war eine neue Affäre. Bislang hatte sie erfolgreich jeden Gedanken an Gavin verdrängt, nicht zuletzt dank der Arbeit mit Silver Flake, aber jetzt brachen die alten Wunden wieder auf. Und die Enttäuschung saß einfach zu tief.
»Ich werde keinem Mann mehr mein Herz anvertrauen«, schwor sie sich und kniff die Augen fest zusammen.
Aber der Schlaf wollte sich nicht mehr einstellen. Ihre Gedanken ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Als Ruby im Morgengrauen aufstand, war Jed bereits wach.
»Na, gut geschlafen?«, fragte er fröhlich und gähnte.
»Nein, nicht direkt«, murmelte sie. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen.
»Schade. Ich habe etwas Wunderschönes geträumt«, sagte er anzüglich grinsend.
Ruby vermied jeden Blickkontakt. »Ich geh schnell duschen.« Sie wandte sich ab und eilte davon.
Jed half Bill beim Füttern der Tiere und lud danach die Stute in den Hänger. Als sie alles zusammengepackt hatten und aufbrechen wollten, kam Bill aus dem Haus gelaufen.
»Ich habe gerade einen Funkspruch von John Elliott von Etamundra Station bekommen mit einer Nachricht für dich, Jed.« Dieser sah ihn fragend an. »Hundert Kilometer südlich von Pimba ist am frühen Morgen ein Auto mit zwei Insassen gesehen worden, auf das deine Beschreibung zutrifft. Du sollst dir aber keine Sorgen machen, sagt John, er will dafür sorgen, dass diese Typen höchstens bis Glendambo kommen.«
Jed warf Ruby einen flüchtigen Blick zu. Sie verstand sofort. »Die Camilleris sind hinter uns her, nicht?«
»Du hast ja gehört, was John gesagt hat. Er wird sich schon was einfallen lassen«, beruhigte Jed sie.
»Und wenn es ihm nicht gelingt, sie aufzuhalten?«, fragte Ruby angespannt. »Diese Männer sind gefährlich, Jed. Denk daran, was sie dir und der Stute bereits angetan haben.«
»Kann ich irgendwie helfen?«, warf Bill ein.
»Falls zwei merkwürdige Fremde in einem braunen Ford Pick-up hier auftauchen und nach uns fragen sollten – du hast uns nicht gesehen«, sagte Jed.
»Verstanden.« Bill nickte. Er legte den Kopf schief. »Ich könnte ihnen eine Abkürzung nach Alice Springs empfehlen, durch Finke Township. Die Straße dorthin ist in
Weitere Kostenlose Bücher