Im Hauch des Abendwindes
einem miserablen Zustand, aber für den Fall, dass sie es doch schaffen sollten, werde ich einen Bekannten von mir anfunken, der in der Gemeinde angestellt ist. Ich bin sicher, er wird diesen Typen die denkbar schwierigste Route nach Alice Springs beschreiben – unabsichtlich, natürlich.«
Jed grinste. »Du denkst mit, Bill; das gefällt mir.«
Die weitere Reise nach Norden verlief stiller als bisher. Jed versuchte immer wieder, ein Gespräch in Gang zu bringen, aber Ruby zeigte sich reserviert und zugeknöpft.
Gegen Mittag machten sie am Rand der Schnellstraße unweit einer Gegend namens Granite Downs Rast.
»Du bist so still heute«, meinte Jed, nachdem er eine Runde mit Silver Flake gedreht und sie dann in den Hänger zurückgeführt hatte. »Hast du was?« Sorgte sie sich wegen den Camilleris?
»Nein«, erwiderte Ruby schroffer als beabsichtigt. »Alles in Ordnung«, fügte sie sanfter hinzu.
Doch das betretene Schweigen hielt auch die nächsten Stunden an. Auf den letzten hundert Kilometern hatte sich die Landschaft allmählich verändert. In der Ferne erhoben sich die Musgrave Ranges, Eukalyptuswälder und Rispengrassteppen wechselten sich ab. Jed suchte sich einen Platz neben einer Gruppe von Eukalyptusbäumen für ihr Nachtlager aus. Nachdem er die Stute ein wenig bewegt und anschließend gefüttert hatte, band er sie an einem Baum fest.
»Morgen am späten Vormittag sind wir in Alice Springs«, meinte er, als er Feuer machte und einen Wasserkessel darüber aufhängte, um Tee zu kochen.
Ein mulmiges Gefühl beschlich Ruby. Ihr Magen kribbelte vor Nervosität, als sie daran dachte, was sie Jed beichten musste. Sie hatte immer noch nicht den Mut gefunden, ihm bezüglich des Jockeys reinen Wein einzuschenken.
Ruby starrte stumm in die Flammen.
Jed sah sie flüchtig an. »Hast du schon von Ayers Rock gehört? Der Sandsteinberg liegt ungefähr zweihundertfünfzig Kilometer von hier entfernt in einem Nationalpark. Um die Entstehung von Ayers Rock, den die Ureinwohner Uluru nennen, ranken sich originelle Legenden.«
Ruby hörte zu, sagte aber noch immer nichts. Die Sonne sank schnell und überzog den Himmel im Westen mit leuchtenden Farben. Ganz selten fuhr ein Auto vorbei. Die unendliche Stille wurde nur durchbrochen von Jeds warmer Stimme und dem Knistern des Feuers.
»Dem Glauben der Aborigines zufolge wollten sich zwei Stämme zu einer Zeremonie dort treffen, wo heute der Fels steht. Unterwegs trafen die Leute des einen Stammes auf wunderschöne schlafende Echsenfrauen. Statt weiterzureisen, ließen sie sich in der Nähe an einer Quelle nieder. Die Ältesten des anderen Stammes, die zu dem Festmahl geladen hatten, waren zornig, weil sie versetzt worden waren, und erschufen aus Lehm einen bösartigen Dingo, der zur Bestrafung der nicht Gekommenen losgeschickt wurde. Es kam zu einem Kampf, zu einem schrecklichen Blutvergießen, in dessen Verlauf die Anführer beider Stämme getötet wurden. Daraufhin hat sich die Erde aus Kummer und Trauer über das Gemetzel erhoben, und so entstand Ayers Rock.« Jed warf Ruby abermals einen flüchtigen Blick zu. »Wir können auf dem Rückweg hinfahren, wenn du willst. Man sollte den großen Stein in der Wüste wirklich einmal gesehen haben, wenn man schon in der Nähe ist.«
»Ist mir egal, ob ich ihn sehe oder nicht«, murmelte Ruby verdrossen.
Jed, der sich keinen Reim auf ihr Verhalten machen konnte, wandte sich ab. Während er Tee kochte und ein Fladenbrot backte, richtete Ruby im Wohnmobil ihr Nachtlager her. Als sie fertig war, sah sie, dass Jed sie prüfend betrachtete.
»Hör zu, Ruby, so kann es nicht weitergehen«, sagte er. »Du kannst es mir ruhig sagen, wenn du bereust, was gestern Abend zwischen uns geschehen ist. Ich kann damit umgehen.«
Ruby blickte zu Boden. »Es liegt nicht an dir«, flüsterte sie kaum hörbar.
»Ich versteh schon. Du hast dich erst vor Kurzem von deinem Verlobten getrennt, weil er dich betrogen hat, und jetzt brauchst du Zeit. Du willst nicht schon wieder eine neue Beziehung eingehen.«
Ruby machte große Augen. Sie hätte nicht gedacht, dass Jed so gut wusste, was in ihr vorging. »Nach allem, was passiert ist, habe ich einfach Angst«, sagte sie leise. »Und außerdem werde ich bald nach Sydney zurückkehren, und du hast dein Leben hier im Busch. Wir werden uns nicht mehr wiedersehen …« Ihre Stimme erstarb.
»Du kannst dir keine Zukunft mit mir vorstellen«, unterbrach Jed sie. »Ist schon klar.«
Ruby machte
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