Im Hauch des Abendwindes
waren, kräuselten sich höhnisch.
Emily spürte Zorn in sich aufsteigen.
»Mein Vater hat Ihre Existenz nie zur Kenntnis genommen und die Vaterschaft nicht anerkannt. Warum also sollten wir uns mit Ihnen befassen?«, sagte Justin zu Ruby, die keine Antwort darauf hatte. »Sie waren doch nur ein dummer Betriebsunfall. Und jetzt besitzen Sie die Frechheit und kommen hierher, um sich etwas unter den Nagel zu reißen, was Ihnen gar nicht zusteht.«
»Ich bin meiner Mutter zuliebe hier«, erwiderte Ruby hitzig, »und nicht, weil ich irgendetwas haben will!«
Jetzt erhob sich auch Emily. Sie funkelte Justin zornig an und stieß gepresst hervor: »Wie können Sie es wagen, so mit meiner Tochter zu sprechen! Ihr Vater würde sich schämen, wenn er das gehört hätte.«
»Lassen Sie meinen Vater aus dem Spiel. Was wissen Sie schon von ihm? Überhaupt nichts!« Justin kamen unwillkürlich die Tränen, worüber er sichtlich wütend war. »Sie hatten eine kleine Affäre – na und? Danach hatte er mit Ihnen oder Ihrem Balg nichts mehr zu schaffen.«
Justin war nicht unverwundbar, das wurde Emily jetzt klar, und sie empfand fast ein wenig Mitleid mit dem jungen Mann. Es war nicht seine Schuld, dass er eine Mutter wie Carmel hatte. Sie wandte sich der Frau zu, die Joe das Leben zur Hölle gemacht hatte. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, auch nur ein Wort mit ihr zu wechseln, aber sie nahm es ihr sehr übel, dass sie ihre Kinder mit bösartigen Lügen und Gemeinheiten gefüttert hatte.
»Sie wissen ganz genau, dass dieser Rollstuhl der einzige Grund ist, dass Joe bei Ihnen geblieben ist. Ihre Rechnung ist aufgegangen.«
»Wollen Sie etwa behaupten, er habe seine Familie nur deshalb nicht verlassen, weil er Schuldgefühle hatte? Das ist ja lächerlich«, brauste Carmel auf.
»Keineswegs. Sie haben ihn emotional erpresst, deshalb ist er bei Ihnen geblieben. Deshalb und weil er seine Kinder nicht allein in Ihrer Obhut lassen wollte«, entgegnete Emily gelassen.
Die Ruhe, die sie plötzlich überkommen hatte, erstaunte sie selbst. Ruby hatte ganz Recht: Diese Leute konnten ihr nichts anhaben; sie hatte nichts von ihnen zu befürchten.
»Mein Vater gehörte hierher, zu seiner Familie«, zischte Justin, der vor Wut einen hochroten Kopf bekommen hatte. »Und das wusste er auch. Er hat uns geliebt.«
»Das bestreite ich gar nicht«, erwiderte Emily. »Und weil er seine Kinder so sehr geliebt hat, wollte er in ihrer Nähe sein und an ihrem Leben teilhaben, aber er wollte mit mir und Ruby zusammen sein. Im Gegensatz zu Ihrer Mutter wollte ich nur, dass er glücklich ist.«
»Sie unverschämte Person!«, giftete Carmel. »Stellen sich als eine Art Märtyrerin hin, die ihn gehen ließ. Sie konnten ihn nicht halten, so sieht es doch aus!«
»Sie irren sich, Carmel. Sie waren diejenige, die ihn an sich gefesselt hat. Kein Trick war Ihnen zu schäbig, um Ihr Ziel zu erreichen. Ich habe ihn gehen lassen, weil ich ihn geliebt habe.«
Emily hatte genug. Sie griff nach ihrer Handtasche und wandte sich zum Gehen. Doch der Anwalt war schneller. Er eilte hinter dem Schreibtisch hervor, die Hände beschwichtigend erhoben.
»Bitte setzen Sie sich wieder. Sie auch, Justin. Wir wollen doch nicht vergessen, welcher Anlass uns hier zusammengeführt hat. Es geht um Joes Letzten Willen. Lassen Sie uns die gebotene Würde bewahren«, sagte er beschwörend.
Emily zögerte.
»Komm, Mom, setz dich wieder«, flüsterte Ruby ihr zu. »Jetzt bleiben wir erst recht.«
Emily, stolz auf ihre Tochter, nickte ihr zaghaft zu und setzte sich wieder. Auch Justin fügte sich.
Marshall Humphries kehrte an den Schreibtisch zurück. »Da wir jetzt vollzählig versammelt sind, werde ich mit der Verlesung des Testaments von Joseph Caldwell Jansen beginnen«, sagte er und setzte sich ebenfalls. Er räusperte sich und schlug eine Mappe auf, die Joes Letzten Willen enthielt. Dann sah er Carmel an. »Ich muss Sie warnen. Joe hat sein Testament vor drei Wochen geändert. Ich werde gleich erklären, warum.«
»Ich bitte darum, Marshall«, sagte Carmel sichtlich verwirrt.
Sie hoffte inständig, dass das nichts mit Emily Rosewell oder ihrer Tochter zu tun hatte. Nur der Gedanke, am Ende als triumphierende Gewinnerin dazustehen, ließ sie die Anwesenheit ihrer Rivalin ertragen. Und sie zweifelte nicht daran, dass Joe ihr das Haus und seinen Kindern seine Firmen vermacht hatte. So gehörte es sich schließlich. Das war nur gerecht. Sollte er seiner Geliebten und
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