Im Hauch des Abendwindes
und ihr das Etui entrissen.
»Als Vollstrecker von Joes Testament ist es meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass sein Letzter Wille erfüllt wird«, erwiderte der Anwalt in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Er trat wieder hinter den Schreibtisch und wandte sich den beiden älteren Leuten zu, die bislang kein Wort gesprochen hatten. »Ihnen, Mr. Smithson, hat Joe seine Golfschläger vermacht, und Ihnen, Mrs. Mathers, zwei Swarovski-Kristallvasen. Er hat mich ausdrücklich gebeten, Ihnen beiden nicht nur für Ihre jahrelangen Dienste, sondern auch für Ihre Loyalität, Ihre Diskretion und Ihre wertvolle Freundschaft zu danken.«
Carmel schnaubte höhnisch. Marshall Humphries tat, als hätte er es nicht gehört.
Mrs. Mathers, die Haushälterin, tupfte sich die Tränen ab. »Ich danke Ihnen, Mr. Humphries«, sagte sie aufrichtig. Diese Worte bedeuteten ihr mehr als die beiden kostbaren Vasen. »Es war ein Vergnügen und eine Ehre, für einen guten Menschen wie Mr. Jansen zu arbeiten. Er wird mir fehlen«, fügte sie mit brüchiger Stimme hinzu.
»Er wird uns beiden schrecklich fehlen, Sir«, ergänzte Mr. Smithson, der als Chauffeur und Butler über zwanzig Jahre für Joe gearbeitet hatte. »Ich habe unsere Gespräche über Golf sehr geschätzt.« Er lächelte traurig.
»Ich weiß, dass Sie viele Male Joes Caddie waren, Mr. Smithson. Ich hoffe, Sie haben Freude an den Golfschlägern. Sie stehen im Wohnzimmer, die Vasen auch. Sie können die Sachen mitnehmen, wenn Sie gehen.«
Der Anwalt hatte den beiden Angestellten bereits mitgeteilt, dass er sie leider entlassen müsse, weil sie nicht mehr bezahlt werden könnten. Da sie die Hausherrin nicht besonders mochten, waren beide nicht allzu traurig darüber.
»Danke, Sir«, erwiderte Mr. Smithson. »Ich werde die Schläger in Ehren halten.«
»Was heißt, wenn sie gehen?«, wiederholte Carmel verwirrt. »Wohin denn?« Sie sah ihre Dienstboten an. »Wo gehen Sie hin?«
»Sie können sich keine Hausangestellten mehr leisten, Carmel«, erklärte Marshall ihr. »Deshalb habe ich sie entlassen, so wie Joe es wollte.«
Carmel fiel aus allen Wolken. Wie sollte sie ohne Personal zurechtkommen?
Mr. Smithson und Mrs. Mathers erhoben sich und verließen den Raum. Joes Familie saß mit versteinerter Miene da.
»Das ist ein Skandal!«, empörte sich Justin und sprang wieder auf. »Wie konnte mein Vater uns das antun? Was wird aus dem Unternehmen? Ich hätte die Leitung übernehmen, die Chance bekommen sollen, das Blatt zu wenden!«
Marshall fand diesen Einwand lachhaft. Als ob Justin eine Ahnung von der Führung eines Unternehmens hätte! Er hatte sich immer geweigert, in die Firma einzusteigen, was seinen Vater sehr traurig gemacht hatte. »Kommenden Montag gehen alle vier Firmen in Liquidation, Justin. Sie werden sich irgendwo eine Stelle und eine Wohnung suchen müssen.«
Seines Wissens hatte der junge Mann es an seinen diversen Arbeitsplätzen nie länger als eine Woche ausgehalten. Marshall sah Jennifer an, die ebenfalls ein sehr behütetes Leben geführt hatte. Am liebsten hätte er ihr geraten, diesen armen reichen Trottel zu heiraten, den sie sich seit über zwei Jahren warmhielt. Sein Blick heftete sich auf Carmel.
»Ich fürchte, dass auch ein Großteil der Antiquitäten verkauft werden muss, um Joes Gläubiger zu befriedigen.«
»Nein … nein …«, stammelte Carmel benommen.
Innerhalb von Minuten war ihre Welt vollständig zusammengebrochen, und sie konnte nichts dagegen tun. Sie fühlte sich absolut hilflos – noch hilfloser als an dem Tag, an dem sie erfahren hatte, dass sie ihr Leben im Rollstuhl verbringen musste. Jennifer würde irgendwann das Haus verlassen, und was sollte dann aus ihr werden, ohne Hausangestellte? Sie war auf Hilfe angewiesen. Wo sollte sie hin?
»Ich glaub das alles nicht«, murmelte Jennifer fassungslos. »Was sollen wir denn jetzt machen, Marshall?« Ein Gedanke durchzuckte sie. »Was hat mein Vater eigentlich dieser … dieser Person da hinterlassen?« Sie nickte mit einer knappen Kopfbewegung nach hinten.
»Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen. Miss Ruby Rosewell, Ihr Vater hat Ihnen einen Anteil an einem Rennpferd vermacht.«
Ruby fiel die Kinnlade herunter. »Ein Rennpferd?« Hatte sie richtig gehört?
»Was für ein Rennpferd?«, warf Justin ein. »Ist es wertvoll?«
»Ich habe keine Ahnung.« Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Hier, ich habe Ihnen die näheren Angaben notiert.« Er stand auf
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