Im Hauch des Abendwindes
»Ihnen hat Ihr Vater den Mercedes vermacht, Jennifer.«
Jennifer war einen Augenblick sprachlos. »Das alte Ding?«, stieß sie ungläubig hervor.
»Der 300 SL Gullwing ist eines der besten Autos, die je gebaut wurden, auch wenn er Baujahr 1954 ist«, entrüstete sich der Anwalt. »Solche Autos werden heutzutage gar nicht mehr hergestellt.«
Jennifer schmollte. »Was ist mit dem Aston Martin? Der wär mir lieber.«
Marshall hatte diesen Einwand erwartet. »Das Auto hat heute Morgen den Besitzer gewechselt.« Der DB6 war Joes ganze Freude und sein ganzer Stolz gewesen. »Der Jeep und der Holden werden im Lauf der nächsten Tage vom Händler abgeholt werden.« Er sah Joes Sohn an. »Justin, Ihnen hat Ihr Vater seine Jacht vermacht.«
Justin war entsetzt. »Aber das Boot befindet sich in einem katastrophalen Zustand! Es liegt im Trockendock und muss komplett überholt werden!«
Als er etwa ein Jahr zuvor auf der Jacht im Hafen von Sydney eine Party gefeiert hatte, war ein Feuer im Maschinenraum ausgebrochen. Justin hatte die Anweisung seines Vaters, den Ölstand zu kontrollieren, ignoriert. Der Motor hatte sich überhitzt. Nur dem raschen Eingreifen der Küstenwache war es zu verdanken, dass das Boot nicht vollständig zerstört worden war.
»Es sind sicherlich einige Reparaturarbeiten erforderlich, aber Ihr Vater hat Ihnen die Jacht vor ein paar Monaten überschrieben, sodass die Gläubiger sie nicht verkaufen können. Das Gleiche gilt für den Mercedes, Jennifer. Ich weiß, dass er dringend in die Werkstatt muss, aber es ist ein wirklich gutes Auto, und es muss nicht verkauft werden.« Joes Weitsicht bestätigte Marshall in seiner Vermutung, dass er genau wusste, was er tat.
Justin konnte es nicht fassen, dass sein Vater ihm das Boot in diesem maroden Zustand vererbte. Dass er selbst für diesen Zustand verantwortlich war, ignorierte er dabei geflissentlich.
»Was ist mit den Aktien, die er Jennifer und mir versprochen hat, und unseren Treuhandfonds?«, fragte Joes Sohn.
Er hatte immer geglaubt, seine Zukunft sei mit Gold ausgeschlagen und arbeiten müsse er höchstens zum Zeitvertreib, wenn er nicht gerade das Nachtleben von Sydney genoss, auf Reisen war oder Frauen nachstieg.
Marshall schüttelte den Kopf. »Es steht nicht gut um die Firmen, die Aktien sind praktisch wertlos. Die Treuhandfonds sind aufgelöst worden, von dem Geld ist nichts mehr da.«
Carmel war wie betäubt. Sie öffnete den Mund, brachte aber keinen Laut hervor. Ihr war schmerzlich bewusst, dass Emily und Ruby Zeugen ihres Ruins wurden und es sicherlich mit Genugtuung vernahmen. »Was … bleibt für mich übrig?«, fragte sie nach einer Weile kaum hörbar.
»Einige persönliche Gegenstände, Ihre Garderobe sowie Schmuck, mit Ausnahme von diesem hier.« Marshall legte ein flaches Schmucketui auf den Schreibtisch, das er an diesem Morgen aus dem Safe genommen hatte. »Joe möchte, dass Emily Rosewell es bekommt.« Er erhob sich, trat hinter dem Schreibtisch hervor und reichte Emily das Etui aus rotem Samt. Carmel gab ein ersticktes Stöhnen von sich.
Emily klappte das Etui mit zitternden Fingern auf. Darin lag, auf Samt gebettet, ein wunderschönes Rubinhalsband mit passenden tropfenförmigen Ohrringen. Ihr kamen die Tränen. Sie hatte nie schönere Schmuckstücke gesehen. Sie liebte Rubine über alles, deshalb hatte sie ihre Tochter auch Ruby – Rubin – genannt. Erinnerungen überfielen sie jäh. Joe hatte ihr zum Einzug in ihre Wohnung einen schlichten, aber exquisiten Rubinring geschenkt und gemeint, eines Tages werde er ihr die passende Halskette und die Ohrringe dazu kaufen. Emily, die ihm vor Freude um den Hals gefallen war, hatte nie mehr als diesen Ring erwartet, aber jetzt war sie tief gerührt, dass Joe sein Versprechen gehalten hatte. Sie hatte den Ring immer in Ehren gehalten. Am Morgen hatte sie ihn bei einem Pfandleiher schätzen lassen, für den Fall, dass sie ihn verkaufen müsste, um die Miete zu bezahlen. Jetzt hatte sie ein schlechtes Gewissen deswegen.
»Ein wunderschönes Set, Mom«, flüsterte Ruby.
»Das Halsband gehörte Joes Großmutter, es ist ein Vermögen wert«, erregte sich Carmel. Es war wertvoller als ihr ganzer Schmuck zusammen. »Das ist ein Familienerbstück, es steht mir zu und sollte eines Tages Jennifer gehören. Das können Sie nicht zulassen, Marshall«, wandte sie sich beschwörend an den Anwalt. Wäre sie nicht an den Rollstuhl gefesselt gewesen, hätte sie sich auf Emily gestürzt
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