Im Hauch des Abendwindes
ich mit ihnen auf Jahrmärkte und Veranstaltungen, dann können die Leute mal auf einem Kamel reiten. Von den Einnahmen kann ich die Kosten für Futter und so weiter bezahlen.«
»Verstehe.«
Ruby nickte. Er schien wohl doch nicht so wortkarg zu sein, wie sie zuvor gedacht hatte. Und das Reden hielt ihn wach. Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da schlingerte der Truck langsam auf die andere Straßenseite.
»Mr. Lewis!«, rief Ruby erschrocken. Er riss das Lenkrad herum, zum Glück kam ihnen kein Fahrzeug entgegen. »Sie sind ziemlich müde, oder?«, fügte sie hinzu, als sie sah, dass ihm fast die Augen zufielen.
»Hm. Wär vielleicht keine schlechte Idee, wenn Sie mal ein Stück fahren würden«, nuschelte er. »Ich bin seit drei Uhr heute früh auf den Beinen, weil eine meiner Stuten fohlte – es war eine ziemlich schwierige Geburt.«
»Ich kann nicht Auto fahren«, erwiderte Ruby kopfschüttelnd.
Bernie sah sie erstaunt an. »Was? Sie sind doch alt genug für den Führerschein.«
»Schon, aber der Verkehr in Sydney macht mir Angst.«
»Na, hier draußen kann nichts passieren. Und um die Zeit ist garantiert keine Streife mehr unterwegs, die uns kontrollieren und Sie nach Ihrem Führerschein fragen könnte.«
»Sie verstehen das nicht. Ich habe noch nie hinter einem Lenkrad gesessen, geschweige denn einen Truck mit einem Anhänger gefahren«, sagte Ruby entschuldigend.
Bernie seufzte gereizt. »Na schön. Wir sind sowieso bald da«, brummelte er und gähnte ausgiebig.
Die nächsten zwei Minuten sprach keiner ein Wort. Plötzlich schwenkte der Truck scharf nach links. Ruby packte instinktiv das Lenkrad und riss es herum. Bernies Kinn war ihm auf die Brust gesunken, er hatte die Augen geschlossen. Ohne es zu merken, trat er das Gaspedal durch.
»Aufwachen, Bernie!«, schrie Ruby panisch.
Mit einem Ruck fuhr er hoch, fluchte und schüttelte den Kopf, um wach zu werden.
»Sie sind eingeschlafen! Wir wären um ein Haar von der Straße abgekommen!«
Er rieb sich das Gesicht und legte dann beide Hände wieder ans Steuer. »Reden Sie mit mir, damit ich wach bleibe.«
Ruby dachte krampfhaft nach. Schließlich sagte sie: »Dann haben Sie also auch Pferde, oder?«
»Nein, wie kommen Sie darauf?«, erwiderte er verdutzt. Er schlug sich ins Gesicht, um sich am Einschlafen zu hindern.
»Sie haben doch gerade gesagt, eine Ihrer Stuten hat gefohlt.«
»Ich meinte eine Kamelstute. Die weiblichen Tiere nennt man Stuten, die männlichen Hengste.«
»Ach so.« Ruby kam sich dumm vor. Sie starrte angespannt auf die Straße, bereit, im Notfall das Steuer zu übernehmen. Immer wieder funkelten Augenpaare im Licht der Scheinwerfer auf. »Was ist das?«, fragte sie verwundert.
»Bloß verdammte Kängurus«, knurrte Bernie. »Solange sie nicht auf die Straße hüpfen, kann nichts passieren.«
»Und wenn wir nun versehentlich eines anfahren würden?«, wollte Ruby besorgt wissen. »Was machen wir dann?«
Bernie sah sie an und lachte. »Das soll wohl ein Witz sein?« Er schüttelte den Kopf und lachte wieder.
Ruby wusste nicht, was er meinte, traute sich aber nicht zu fragen, weil sie sich nicht blamieren wollte. »Erzählen Sie mir von Silverton. Was kann man abends oder am Wochenende dort unternehmen?«
In diesem Augenblick machte der Truck abermals einen scharfen Schlenker. Ruby schrie auf. Sie sah gerade noch, wie ein Känguru seitlich weggeschleudert wurde.
»Diese gottverdammten Viecher!«, schimpfte Bernie.
»Haben wir es erwischt? Und wenn es nun verletzt ist?« Sie drehte sich um, aber in der Dunkelheit konnte sie nichts erkennen.
»Schätze, es hat was abbekommen, aber wir können von Glück sagen, dass die Windschutzscheibe noch ganz ist. Schade, dass ich es nicht mit dem Kuhfänger erwischt habe. Dann gäbe es ein verdammtes Känguru weniger. Die fressen auch noch den letzten Grashalm hier weg.«
Ruby starrte den Kamelzüchter entsetzt an. Wie konnte jemand nur so kaltschnäuzig sein! Ihr Herz klopfte so stark, dass sie glaubte, es müsse ihr jeden Augenblick aus der Brust springen.
»Heutzutage gehen die Leute abends in den Pub, wo sie sich mit ihren Freunden auf ein Glas und einen Schwatz treffen«, fuhr Bernie fort, als wäre nichts passiert. »Am Wochenende gehen sie auch auf die Jagd, wilde Ziegen oder Kängurus schießen. Sie sehen ja selbst, wieso. Früher, als Silverton noch eine reiche Stadt war, ging es rund hier. Die Rennbahn in Penrose Park gibt’s noch immer, aber wir hatten
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