Im Hauch des Abendwindes
Kennen Sie ihn?«
»Jeder hier kennt ihn, aber ich wusste gar nicht, dass er einen Partner hat.«
Genauso wenig wie er, dachte Ruby. Laut sagte sie: »Ist aber so.«
»Na, wenn das stimmt, sind Sie aber ein verdammter Glückspilz.«
»Und warum, wenn ich fragen darf?«
»Jed sagt, Silver Flake hat das Zeug, nicht nur am Melbourne Cup teilzunehmen, sondern ihn auch zu gewinnen.«
»Das scheint mir aber eine kühne Behauptung zu sein.«
Der Melbourne Cup zählte zu den renommiertesten Pferderennen auf der südlichen Halbkugel. Ihr Anteil an dem Pferd würde sie zu einer reichen Frau machen, falls es tatsächlich als Erster durchs Ziel ging.
»Jed wird schon wissen, was er sagt. Er ist ein verdammt guter Trainer. Der beste in der Gegend hier.«
»Nehmen Sie es mir nicht übel, Bernie, aber das hier ist tiefste Provinz.« Wie zur Bestätigung rumpelten sie durch ein weiteres Schlagloch. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Gewinner des Melbourne Cups aus dem Busch kommt.« Ruby wusste, es hatte keinen Sinn, sich etwas vorzumachen. Silver Flake war vielleicht ein paar tausend Dollar wert, vorausgesetzt, er hatte einige Rennen hier in der Gegend gewonnen. Aber er war mit Sicherheit kein Champion, der an wirklich bedeutenden Rennen teilnehmen konnte, schon gar nicht am Melbourne Cup. Dieser Jed Monroe war ein windiger Typ, er wollte sich bloß wichtig tun. Ruby sah sich in ihrem ersten Eindruck von ihm nur bestätigt.
»Mit Pferderennen ist das eine komische Sache, wissen Sie«, sagte Bernie. »Es ist schon vorgekommen, dass ein Pferd aus dem Busch das Zeug zum Champion hatte. In diesem Geschäft muss man Träume und vor allem einen unerschütterlichen Glauben haben. Ich kenne zwar nicht die Geschichte jedes einzelnen Melbourne-Cup-Gewinners, aber es würde mich gar nicht wundern, wenn ein paar Außenseiter darunter wären – Pferde mit einem großen Herzen, die sich einfach nicht geschlagen geben wollen. Sie haben doch bestimmt schon von Phar Lap gehört?«
»Ja, natürlich. Er war das berühmteste und erfolgreichste Rennpferd Australiens.«
»Richtig. Aber haben Sie auch gewusst, dass sein Besitzer ihn für gerade mal hundertdreißig Dollar gekauft hat? Er war ungeschlagen bei den Distanzen über tausendfünfhundert und zweitausend Meter. Und 1930 hat er den Melbourne Cup gewonnen, obwohl sein Jockey fünfzehn Pfund mehr wog, als Vorgabe war. Was für ein Champion! Gangster haben sogar versucht, ihn zu erschießen, weil seine Chancen am Tag des Rennens so minimal waren.«
»Wollen Sie damit andeuten, Silver Flake sei ein zweiter Phar Lap?« Ruby wollte ganz sichergehen, dass sie ihn richtig verstanden hatte, nur für den Fall, dass Jed Monroe versuchen sollte, den Wert des Pferdes herunterzuspielen.
»Wenn man Jed glauben darf, ja.«
Ruby schöpfte neue Hoffnung. Rückte ihr eigener Salon etwa wieder in greifbare Nähe? »Wie viele Rennen hat Silver Flake denn schon gewonnen?«
»Keine Ahnung. Als Jeds Partner sollten Sie das doch besser wissen als ich.«
»Ich bin erst vor ein paar Tagen seine Partnerin geworden. Ich kenne ihn überhaupt nicht, deshalb will ich ja nach Silverton. Ich bin schon ganz gespannt auf Silver Flake.«
Bernie blickte verdutzt drein. Und schläfrig, wie Ruby besorgt feststellte. Sie musste mit ihm reden, damit er wach blieb.
»Wo haben Sie denn Ihr neues Kamel her?«, fragte sie.
»Von einem reichen Kamelzüchter aus Marree, Gunny Khan.«
»Das ist aber ein ungewöhnlicher Name.«
»Gunny stammt ursprünglich aus Kandahar in Afghanistan. Das Kamel, das ich von ihm gekauft habe, hat einen hervorragenden Stammbaum. Als Zuchttier und beim Rennen dürfte es einen schönen Batzen Geld einbringen.«
Bei einem Kamel legte er also größten Wert auf eine gute Abstammung, aber ein erfolgreiches Rennpferd konnte von irgendeiner Koppel aus dem Outback kommen. Das war schon merkwürdig.
»Ich habe noch nie ein Kamelrennen gesehen. Wo finden sie denn statt?«, fragte Ruby neugierig.
Bernie gähnte. »Oh, die gibt es in vielen Städten im Outback. In Birdsville zum Beispiel und in Alice Springs, manchmal bei Rennsportveranstaltungen in Darwin und Broken Hill. Auch viele kleine Ortschaften im Umkreis größerer Städte veranstalten Kamelrennen. Aber meine Kamele sind auch Arbeitstiere. Sie kommen selbst im schwierigsten Gelände noch voran, dort, wo Pferde und Fahrzeuge nur bedingt einsetzbar sind, beispielsweise in abgelegenen Minencamps oder auf entlegenen Farmen. Außerdem gehe
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