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Im Hauch des Abendwindes

Im Hauch des Abendwindes

Titel: Im Hauch des Abendwindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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glauben.« Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen vom Gesicht. »Bis vor ein paar Tagen habe ich ein völlig normales Leben geführt. Ich weiß wirklich nicht, womit ich so viel Pech verdient habe«, fügte sie weinend hinzu.
    »Schwere Nackenschläge gehören nun mal zum Leben, Kleine. Man steht auf, klopft sich den Staub aus den Kleidern und macht weiter. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
    Ruby sah die alte Dame fassungslos an. Wie konnte sie nur so herzlos sein!
    »Na los, steh schon auf! Im Staub hocken und jammern hilft dir auch nicht weiter.«
    Ruby rappelte sich beleidigt auf. Mrs. Cratchley ging ins Haus. Als sie wieder herauskam, warf sie Ruby eine Wickelschürze zu.
    »Hier hast du was zum Anziehen. Du kannst dich im Abort umziehen. Dort hängt auch ein Schlauch, damit du dir den Dreck abwaschen kannst. Und die hier ist für dich.« Sie warf Girra eine zweite Schürze zu. Dann ging sie ohne ein weiteres Wort ins Haus zurück.
    Eine gute Stunde später konnten die beiden jungen Frauen wieder in ihre eigenen Sachen schlüpfen. Sie hatten sie gewaschen, so gut es ging, und auf die Wäscheleine gehängt, wo der heiße Wind sie im Nu getrocknet hatte. Ruby hätte gern ein Bad genommen, sie wünschte, sie hätte ein bisschen Shampoo und Seife, aber sie traute sich nicht, Mrs. Cratchley darum zu bitten. Sie wollte ihr Glück nicht überstrapazieren. Die alte Dame hatte Corned-Beef-Sandwiches gemacht und sie auf einem Teller herausgebracht, damit sie sie im Schatten der Veranda verzehren konnten.
    »Du kannst im Wohnwagen schlafen, wenn du willst«, sagte sie zu Ruby. »Er ist zwar nicht besonders komfortabel, aber allemal besser als ein Flussbett.«
    »Danke.« Ruby hatte Mühe, sich ihren Abscheu nicht anmerken zu lassen. Ein Hotel wäre ihr hundertmal lieber gewesen. Aber wovon hätte sie es bezahlen sollen? »Ich werde keine Sekunde länger in dieser Stadt bleiben als unbedingt nötig, das steht fest«, fügte sie mürrisch hinzu und merkte gar nicht, wie unhöflich das war.
    Mrs. Cratchley warf ihr einen seltsamen Blick zu. »Wie heißt es so schön? Es kommt meistens anders, als man denkt.«
    »Das will ich aber nicht hoffen«, gab Ruby zurück. Sie betrachtete ihre zerschundenen Füße, die aufgeplatzten Blasen, die vom Laufen auf der heißen Erde roten Sohlen. Girra ging zwar auch barfuß, aber sie war es gewohnt, ihre Füße waren schwielig und abgehärtet. Mit einem flüchtigen Blick stellte sie fest, dass Mrs. Cratchley ungefähr die gleiche Schuhgröße hatte. »Sie haben nicht zufällig ein Paar bequeme Schuhe, die Sie mir leihen könnten, Mrs. Cratchley, oder?«
    »Keine, die dir gefallen würden, schätze ich.« Ihr waren Rubys modischer Kurzhaarschnitt und das schicke kurze Kleid sofort aufgefallen.
    »Das macht nichts. Sie kriegen sie auch bestimmt wieder.«
    Mrs. Cratchley sah Rubys Füße prüfend an. »Deine Schuhe können ja nicht sehr bequem gewesen sein«, bemerkte sie trocken.
    »Sie waren prima, aber nicht, um darin meilenweit auf einer Schotterpiste zu laufen«, erwiderte Ruby eine Spur ungehalten.
    Mrs. Cratchley ging ins Haus. Als sie zurückkam, hatte sie ein Paar alte, flache Treter in der Hand. In Sydney wäre Ruby lieber tot umgefallen, als mit diesen Schuhen gesehen zu werden, aber jetzt brauchte sie einfach nur etwas Bequemes an den Füßen. Sie probierte sie an, und sie passten.
    »Wunderbar! Vielen Dank«, rief sie erleichtert.
    »Behalt sie, solange du willst. Ich wollte sie sowieso wegwerfen«, grummelte Mrs. Cratchley, die auf keinen Fall weichherzig erscheinen wollte.
    Ruby ging ein paar Schritte ums Haus herum, um die Schuhe auszuprobieren. Als sie zur Veranda zurückkam, waren Girra und die Kinder fort. Ruby guckte sich verdutzt um. Das konnte doch nicht möglich sein! Wohin waren sie denn so schnell verschwunden?
    »Sind Girra und die Kinder bei Ihnen im Haus?«, rief sie Mrs. Cratchley zu, die die Veranda fegte.
    »Nein, die kommen nie rein.«
    Weil sie nicht wollen oder nicht dürfen?, dachte Ruby, aber sie sagte es nicht laut. »Ich kann sie nirgends sehen. Wo sind sie denn?«, fragte sie stattdessen und blickte sich erneut um.
    »Woher soll ich das wissen?«, erwiderte Myra Cratchley unwirsch.
    Die Erlebnisse der letzten Tage hatten Ruby so dünnhäutig gemacht, dass ihr schon wieder die Tränen kamen.
    Mrs. Cratchley bemerkte es und hielt mit der Arbeit inne. Sie stützte sich auf ihren Besen und sagte: »Girra ist eine Aborigine. Die

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