Im Hauch des Abendwindes
Zwangsversteigerungen habe ich aus Prinzip immer gemieden, aber bei Haushaltsauflösungen wegen Todesfall oder Umzugs kann man richtige Schätze entdecken. Ich schaue heute noch regelmäßig in der Zeitung, ob irgendwo eine entsprechende Versteigerung stattfindet, und wenn ich denke, es könnte sich lohnen, fahre ich rüber nach Broken Hill. Das ist eben ein Hobby von mir. Diesen Fleischwolf habe ich übrigens auf der Müllhalde in Broken Hill entdeckt. Das ist auch ein guter Platz zum Stöbern.«
Ruby verzog angewidert das Gesicht bei dem Gedanken, in stinkenden Abfällen zu wühlen.
Myra Cratchley bemerkte es. »Wenn jemand stirbt, werfen die Angehörigen oft viele Dinge weg, für die sie keine Verwendung haben, aber für mich sind das Kostbarkeiten. Du hältst mich wahrscheinlich für verrückt, aber ich finde so alte Sachen einfach faszinierend.« Sie blickte sich um und seufzte. »Ich weiß bloß nicht, was aus dem ganzen Kram werden soll, wenn ich einmal nicht mehr bin. Meine Kinder werfen bestimmt alles weg.«
»Man könnte es einem Museum schenken«, schlug Ruby vor.
»Ja, das ist eine gute Idee.«
»Girra hat erzählt, in dem ehemaligen Gerichtsgebäude und dem Gefängnis soll ein Museum eingerichtet werden. Wär das nicht etwas für Ihre Kostbarkeiten? Dann bräuchten Sie sich keine Sorgen mehr darum zu machen.« Außerdem gäbe es dann wieder Luft hier, dachte Ruby, sagte es aber nicht laut.
»Tja, ich weiß nur nicht, was Roy Holloway für Pläne für sein Museum hat.« Der frühere Urkundsbeamte lebte fast genauso zurückgezogen wie sie selbst, deshalb hatten sie nie darüber gesprochen.
»Nun, das lässt sich ja herausfinden. Weiß er, was Sie hier zusammengetragen haben?«
Myra Cratchley runzelte die Stirn. »Er war nie hier, hat das alles also noch nicht gesehen, wenn du das meinst. Aber ich habe sicher mal erwähnt, dass ich ein paar alte Dinge besitze.«
»Ein paar alte Dinge? Wenn er das hier sehen könnte – das wäre für ihn wie Weihnachten und Geburtstag zusammen!«
»Meinst du wirklich?«
»Na klar. Er muss doch auch eine Schwäche fürs Sammeln haben, sonst würde er kein Museum eröffnen wollen.«
»Stimmt«, erwiderte Mrs. Cratchley, als wäre ihr der Gedanke noch nie gekommen.
Sie schwiegen ein Weilchen. Dann fragte Ruby: »Leben von Ihren Kindern welche hier in Silverton?«
»Um Himmels willen, nein!«, entgegnete Mrs. Cratchley, als wäre die bloße Vorstellung geradezu lachhaft. Ihre Kinder kamen nicht einmal gern zu Besuch nach Silverton. »Ein Sohn lebt mit seiner Familie in Broken Hill. Er hat eine verantwortungsvolle Stelle im Bergwerk, daher sehe ich ihn nur selten. Die Mädels sind nach der Schule nach Adelaide gezogen. Sie sind beide verheiratet und haben insgesamt sechs Kinder. Meine anderen beiden Söhne leben in Kalgoorlie in Western Australia. Sie sind ebenfalls im Bergbau tätig und haben beide Familie.«
»Würden Sie nicht lieber näher bei einem Ihrer Kinder wohnen?«, fragte Ruby verwundert. »Dann könnten Sie doch auch Ihre Enkel öfter sehen.«
Myra Cratchleys verwitterte Züge wurden traurig. »Sie wollen mich nicht bei sich haben.« Als sie den mitleidigen Ausdruck auf Rubys Gesicht sah, fügte sie hinzu: »Ich bin selbst schuld daran. Ich habe sie zu unabhängigen Menschen erzogen, sie brauchen mich nicht. Nach dem Tod ihres Vaters musste ich arbeiten gehen; ich hatte keine Zeit, sie zu verhätscheln und zu verwöhnen. Und selbst wenn ich die Zeit gehabt hätte, wäre ich abends viel zu erschöpft gewesen. Sie verstehen nicht, wie verdammt hart das damals war, weil sie ihre Kinder nicht allein aufziehen müssen. Ich hoffe für sie, dass sie es nie erfahren.«
Ruby nickte stumm.
Sie räumten die Küche auf und spülten das Geschirr, dann wuschen sich Ruby und Mrs. Cratchley gegenseitig die Haare in der Spüle und setzten sich nach draußen, um sie in der Nachmittagssonne trocknen zu lassen. Myra Cratchley fasste sich immer wieder verzückt in ihre kurzen, frisch gewaschenen Haare, die sich wunderbar weich anfühlten.
»Ich hab zwar nur einige wenige Sachen zum Wechseln eingepackt«, sagte Ruby, »aber ohne ein gutes Shampoo würde ich niemals verreisen.«
»Vielleicht sollte ich mir auch angewöhnen, Shampoo zu benutzen anstatt Kernseife«, meinte Myra Cratchley leicht verlegen. »Aber wir hatten jahrelang nichts anderes. Und nach dem Waschen haben wir die Haare mit Essig gespült, damit sie schön glänzten.«
Ruby verzog schmerzlich das
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