Im Hauch des Abendwindes
ein älterer Mann, als sie die Bar betrat. »Von wo hat Sie der Wind denn hergeweht?«
»Aus Sydney«, antwortete sie.
»Aha, ein Großstadtgewächs. Schön, mal wieder ein neues Gesicht in der Stadt zu sehen. Was trinken Sie?«
Normalerweise bevorzugte Ruby Wodka Tonic, aber erstens brauchte sie etwas gegen den Durst, und zweitens tranken alle anderen Bier. Sie wollte nicht gegen den Strom schwimmen.
»Ein Bier, bitte«, sagte sie deshalb und blickte sich flüchtig um. Mindestens dreißig Gäste befanden sich in dem kleinen Raum.
»Im Ernst? Ich hätt gedacht, Sie würden was Edleres trinken.« Der Mann lächelte, sodass man die Lücken in seinem Gebiss sehen konnte. »Ich bin übrigens Ernie Mitchell.« Er streckte ihr die Hand hin. Sie war rau, sein Händedruck kräftig. Inzwischen war Ruby von mehreren Männern umringt. Alle trugen Shorts, Unterhemden und Sandalen. Die meisten waren unrasiert und offenbar schon lange nicht mehr beim Friseur gewesen. Dennoch freute sie sich über den herzlichen Empfang.
»Wie heißen Sie, Schätzchen?«, fragte Ernie und drückte ihr ein großes Glas Bier in die Hand.
»Ruby Rosewell«, antwortete sie und bedankte sich für das Bier.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Jacko, der Darts gespielt hatte, schnurstracks zu ihr eilte. Sie blickte sich verstohlen um. Es war ungefähr fünf Uhr, und sie fragte sich, ob einer der Männer, die sie mit unverhohlener Neugier musterten, Jed Monroe war.
»Hallo, Miss!« Jacko, der sich einen Weg zu ihr gebahnt hatte, strahlte sie an.
Ruby biss sich unwillig in die Wange. Anscheinend dachte er, sie habe sich mit ihm verabredet. »Hallo«, erwiderte sie kühl.
»Schön, dass Sie gekommen sind. Ich war mir nicht sicher, ob Sie es schaffen würden«, fuhr er fort und wurde rot.
»Woher kennst du denn diese bildhübsche junge Dame?«, fragte Ernie sichtlich verblüfft darüber, dass Jacko bereits Rubys Bekanntschaft gemacht hatte.
Jacko kam mit allen Männern bestens aus, aber die Frau, die ihn attraktiv fand, musste Ernies Ansicht nach erst noch geboren werden. Und jetzt sollte ausgerechnet eine schöne junge Frau wie diese Fremde romantische Absichten hegen? Das kam Ernie sehr verdächtig vor.
Ruby setzte ihr Glas an die Lippen und trank es in einem Zug halb aus.
»Wir sind uns schon mal begegnet, und sie hat gesagt, sie würde um fünf herkommen«, erklärte Jacko voller Stolz. Er hatte sich für alle Fälle rasiert und sich großzügig mit Old-Spice-Rasierwasser parfümiert, was dazu geführt hatte, dass seine Kumpel ihn gnadenlos aufzogen, als er in den Pub gekommen war.
»Jetzt versteh ich! Deshalb stinkst du so fürchterlich!«, sagte Ernie lachend. Die anderen stimmten gut gelaunt mit ein.
Ruby wünschte, es gäbe einen Weg, klarzustellen, dass sie keine Verabredung mit Jacko hatte, ohne dessen Gefühle zu verletzen. Da ihr nichts einfiel, wandte sie sich Mick Doherty zu, der hinter der Theke stand und sich über ihr Dilemma amüsierte.
»Hallo, Mr. Doherty.«
»Hallo, Schätzchen«, erwiderte er freundlich. »Ich bin Mick. So nennen mich alle hier. Das wegen heute Morgen tut mir leid, war allein meine Schuld. Sie tragen es mir hoffentlich nicht nach.«
»Ach was, überhaupt nicht«, entgegnete Ruby erleichtert und leerte ihr Glas bis auf den letzten Tropfen.
Der Wirt zog belustigt die Brauen hoch. »Darf’s noch mal ein kühles Blondes sein oder lieber ein Glas Eiswasser?«, grinste er.
Ruby lächelte. »Noch ein Bier, bitte.« Die Hitze hatte ihre Kehle ganz ausgedorrt.
Als sie ihren Geldbeutel aus der Tasche ihrer Jeans zog, sagte Mick: »Das hier geht aufs Haus.«
»Oh, das ist nett, danke.« Sie lächelte ihm zu und entspannte sich.
Die Männer stellten sich ihr vor, aber sie vergaß ihre Namen sofort wieder, weil es ein ganz bestimmter war, auf den sie wartete. Jetzt erst fielen ihr die Frauen an einem Tisch auf der gegenüberliegenden Seite auf. Sie saßen neben einer offenen Tür, die zu einer Art kleinem Biergarten hinausführte. Biergläser standen vor ihnen auf dem Tisch, und ihre schweißbedeckten, braun gebrannten, zerfurchten Gesichter wirkten abgekämpft. Sie hatten nur Sekunden gebraucht, um Ruby von ihrer modischen Frisur bis hinunter zu ihren Riemchensandalen zu taxieren. Diese Person würde es keine fünf Minuten in einer Stadt wie Silverton im tiefsten Outback aushalten, wo das Aufregendste, das passierte, der gelegentliche Sandsturm war. Ihre Neugier hielt sich daher in Grenzen, was man von den
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