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Im Hauch des Abendwindes

Im Hauch des Abendwindes

Titel: Im Hauch des Abendwindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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strahlte. »Da sag ich nicht Nein!« Sie konnte sich nicht sattsehen an ihrem neuen, jüngeren Ich. Normalerweise wusch sie sich die Haare mit Kernseife, ein richtiges Shampoo wäre ein ganz besonderer Luxus.
    Ruby hatte plötzlich eine Idee. »Was meinen Sie, ob es hier noch mehr Leute gibt, die sich gerne die Haare schneiden lassen würden?«
    »Ganz bestimmt sogar. Warum? Denkst du darüber nach, noch ein Weilchen zu bleiben?« Myra Cratchley, die normalerweise das Alleinsein vorzog, war selbst überrascht, wie sehr sie Rubys Gesellschaft genoss.
    »Nur so lange, bis ich alles erledigt habe, was ich wollte. Und das wird länger dauern als geplant, fürchte ich«, gab sie bedrückt zurück. Einen Moment später hellte sich ihre Miene auf. »Vielleicht könnte ich ja in einem der leer stehenden Geschäfte einen Laden eröffnen.« Da hatte sie so lange von ihrem eigenen Salon geträumt, und jetzt sollte sich ihr Wunsch ausgerechnet in dieser Geisterstadt erfüllen. Die Ironie entging ihr nicht.
    »Da musst du den Bürgermeister fragen. Ihm gehören die leeren Läden.«
    »Und wer ist der Bürgermeister?«
    Myra Cratchley zögerte. »Charlie Gillard. Er ist auch unser Friedensrichter und Postamtsvorsteher. Er ist ein sehr angesehener Mann in Silverton.«
    »Soll das heißen, niemand würde glauben, dass er Girra in betrunkenem Zustand belästigt?«
    »Selbst wenn sie es glauben würden – die Männer würden so tun, als hätten sie nichts gesehen. Die meisten sind nämlich nicht besser.«
    »Das ist nicht richtig«, empörte sich Ruby.
    »Das stimmt. Aber Tatsache ist nun einmal, dass die Aborigines anders behandelt werden. Das wird sich hoffentlich irgendwann einmal ändern, aber das hier ist eine Kleinstadt mit kleinkarierten Ansichten. Charlie besitzt das einzige Kaufhaus. Die Leute würden ihn nicht verlieren wollen. Außerdem könnte er Girra eine Menge Ärger machen.«
    »Inwiefern?«
    »Sie ist erst fünfzehn und kümmert sich tagelang ganz allein um ihre jüngeren Geschwister. Man könnte ihren Eltern Vernachlässigung ihrer Pflichten vorwerfen.«
    Jetzt war Ruby beunruhigt. »Glauben Sie, er würde die Behörden informieren?«
    »Nun, angesichts seiner Drohungen muss man damit rechnen.«
    Ich muss Girra warnen, schoss es Ruby durch den Kopf. Sie muss die Kinder aus der Stadt bringen, damit sie sicher sind.
    »Brauchst du Geld für die Fahrt nach Hause?«, fragte Mrs. Cratchley. »Ist das der Grund, warum du arbeiten möchtest?«
    »Nein.« Ruby schüttelte den Kopf. Sie hatte einen Hintergedanken: Sie hoffte, die Leute würden sich gesprächiger zeigen, wenn sie ihnen die Haare schnitt. Auf diese Weise könnte sie vielleicht mehr über Jed Monroe erfahren. »Sie glauben nicht, was einem die Leute alles erzählen, wenn sie im Frisierstuhl sitzen«, meinte sie augenzwinkernd.
    Myra Cratchley verstand. Diese Ruby war ein kluges Mädchen. »Hast du Hunger? Ich mache mir nämlich jetzt ein Omelett.«
    Ruby rieb sich vielsagend den Bauch. »Ich sterbe fast vor Hunger!«

10

     
    Ruby sah sich ungläubig um, als sie Myra Cratchleys vollgestopfte Küche betrat. Jeder Zentimeter Wand war mit Regalen zugestellt, in denen alle möglichen Dinge untergebracht waren. An der Decke hatte Myra Haken angebracht, an denen merkwürdige Gegenstände hingen, und auf dem Fußboden stapelten sich unzählige Kartons, aus denen noch mehr Kram quoll.
    »Stoß dich nicht«, warnte Myra Cratchley. »Ich weiß inzwischen, wo alles hängt und steht, aber ich hab’s auf die harte Tour gelernt. Ich hab mir x-mal den Kopf angeschlagen.«
    Auch der lange Tisch stand voll. Ein bisschen Platz war nur an einem Ende. Sie setzten sich dorthin, um ihr Omelett zu essen. Auf Rubys Frage erklärte Myra, dass jeder Gegenstand eine Geschichte habe. Die meisten Utensilien stammten aus der Zeit Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts und seien von einigen der ersten Siedler nach Australien gebracht worden, unter anderem von ihrer Großmutter Myrtle Schulz, die deutsche und griechische Vorfahren habe. Myra lebte förmlich auf, als sie von ihrem bunten Sammelsurium sprach.
    »Ich seh schon, Sie sind eine leidenschaftliche Sammlerin«, bemerkte Ruby, als Mrs. Cratchley ihr einen uralten Fleischwolf vorführte, der noch einwandfrei funktionierte. »Aber wo haben Sie das ganze Zeug her?«
    »Bevor ich hierher gezogen bin, habe ich gerne Versteigerungen von Haushaltsgegenständen besucht. Da kann man die erstaunlichsten Sachen zu einem Spottpreis ergattern.

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