Im Hauch des Abendwindes
Gesicht. »O je! Seife ist das Schlimmste, was Sie Ihrem Haar antun können!«
»Ach was! Ich hab meinen Kindern die Haare immer mit Seife gewaschen, und es hat ihnen überhaupt nicht geschadet«, beharrte die ältere Frau. »Außerdem, wozu der ganze Aufwand? Manchmal vergehen Wochen, ohne dass ich einen Menschen sehe.«
Ruby, die tagtäglich einige Dutzend Leute traf, sah Myra ungläubig an.
»Apropos Menschen – ich glaube, ich werde mich jetzt noch einmal zum Pub aufmachen«, sagte sie dann.
Ihre gewaschenen Sachen waren glücklicherweise schon getrocknet. Für ihren zweiten Abstecher ins Silverton Hotel entschied sie sich für Jeans und eine kurzärmelige rote Bluse mit Rüschen am Ausschnitt. Sie schlüpfte in das einzige Paar Schuhe, das sie mitgenommen hatte – vorne offene Sandalen mit einem kleinen Absatz und einem Fersenriemen –, und legte etwas Make-up auf. Wenigstens einige ihrer Schminksachen hatten im Wasser keinen nennenswerten Schaden genommen. Zu guter Letzt klemmte sie sich rote Clips an die Ohrläppchen.
»Du hast dich aber ganz schön in Schale geschmissen«, meinte Myra Cratchley, als Ruby aus dem aus altem Bauholz und Wellblech selbst gebauten Bad kam. Das Haus hatte kein Badezimmer besessen, als Myra es gekauft hatte, es gab nur einen Abort einige Meter hinter dem Haus.
»Danke.« Ruby lächelte.
Sie fühlte sich jetzt viel wohler, auch wenn sie das Duschen nicht so schnell vergessen würde. Die Konstruktion bestand aus einem wassergefüllten Eimer mit durchlöchertem Boden, den Mrs. Cratchley an der Decke aufgehängt hatte. War das Wasser durchgelaufen, was ziemlich schnell ging, musste man auf einen Stuhl klettern und den Kübel von Neuem füllen. Volle Eimer standen bereits parat. Ruby hatte drei Mal nachgefüllt. Bei dem warmen Wetter konnte man Wasser direkt aus dem Schlauch nehmen; wäre es kalt gewesen, hätte man das Wasser erst einmal erwärmen müssen.
»Na, was sagst du zu meiner Dusche? Nicht schlecht, oder?«, meinte Mrs. Cratchley stolz.
»Schon, aber mit einem richtigen Duschkopf wäre es natürlich noch besser«, erwiderte Ruby vorsichtig. Sie wollte ihre Gastgeberin nicht kritisieren.
»Eine richtige Dusche kostet aber eine ganze Stange. Ein Verwandter von Charlie Gillard ist Klempner; er wollte fast hundert Dollar für die Klempnerarbeiten im Bad, und so viel hab ich nicht.«
Diese Worte machten Ruby nachdenklich. Ihr fiel ein, was sie zu ihrer Mutter über Fern Bay gesagt hatte, das unbestreitbar ein idyllisches Städtchen war, vor allem, wenn man es mit Silverton verglich. Ihre Tante besaß zwar nur ein kleines Häuschen, aber die Immobilien dort waren wegen der Lage am Meer teuer. Jetzt begriff Ruby, wie lächerlich ihr Gejammer gewesen war.
»Warum kommen Sie nicht mit in den Pub, Mrs. Cratchley?«, sagte sie spontan. »Dann könnten Sie den Einheimischen Ihre neue Frisur vorführen.«
Die Einladung rührte die ältere Frau, was sie sich jedoch nicht anmerken ließ. »Du kannst ruhig Myra zu mir sagen«, gab sie zurück und fügte belustigt hinzu: »Ich glaube nicht, dass mich jemand erkennen würde. Ich bin nie der Typ gewesen, der gern in Lokalen herumhockt, weißt du. Geh du nur. Aber pass auf dich auf. Du siehst zum Anbeißen aus, und ich wette, jeder Mann in der Stadt wird ein Auge auf dich werfen.«
Ruby versprach es ihr und machte sich auf in das kleine Städtchen.
Auf dem Weg zum Silverton Hotel hielt Ruby nach Girra Ausschau. Es tat ihr leid, dass das Aborigine-Mädchen sich von ihr verraten fühlte. Sie musste die Sache vor ihrer Abreise unbedingt richtigstellen.
Obwohl die Sonne allmählich zum westlichen Horizont hinunterwanderte, war es immer noch sehr heiß. Ruby brach der Schweiß aus allen Poren. Sie sah schon von Weitem mehrere Fahrzeuge vor dem Hotel stehen, alle waren mit einer roten Staubschicht bedeckt. Sie konnte auch den Lärm hören, der aus der Bar drang.
Ruby hatte die Veranda noch nicht betreten, als einige der Gäste drinnen sie schon durch die geöffneten Fenster erspähten. Nach ihrer anfänglichen Überraschung begrüßten sie sie mit lautem, fröhlichem Gejohle. Ruby, die angenommen hatte, der Wirt habe die Leute vor ihr gewarnt, und daher mit einem eher reservierten Empfang gerechnet hatte, war verblüfft.
»Hallo!«, rief sie zurück und hoffte, die Stimmung werde nicht umschlagen, wenn sie erfuhren, dass sie auf der Suche nach Jed Monroe war, dem »Helden« der Stadt.
»Einen schönen guten Tag«, grüßte
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