Im Hauch des Abendwindes
meinen?«, fragte Ruby ganz verwirrt.
»Aber ja, ganz sicher. Jed Monroe.«
Ruby wunderte sich zwar, ließ die Sache aber auf sich beruhen. Wenig später kam Agatha Barnes, Colins Frau, vorbei, um sich die Haare schneiden zu lassen.
»Wie geht es dir?«, fragte sie, als sie sich setzte.
»Danke, das Geschäft läuft heute schon ganz gut. Jed Monroe hat nicht zufällig etwas von sich hören lassen, oder?«
Agatha schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste, Schätzchen.«
»Wie alt ist er eigentlich?«
»Jed? Vierzig, würde ich sagen.«
»Komisch, der eine sagt, er sei zweiunddreißig, der andere, mittleren Alters.«
Agatha machte eine vage Handbewegung. »Man kann das Alter der Menschen im Outback nur schwer schätzen. Wer viel draußen an der frischen Luft arbeitet so wie Jed, wird von Wind und Wetter gegerbt und sieht möglicherweise älter aus, als er ist.«
Dann wechselte sie das Thema, und Ruby gelang es nicht, auch nur eine einzige weitere Frage zu stellen. Sie hatte den Verdacht, dass die Leute sie bewusst in die Irre führten, um Jeds Identität zu verschleiern. Aber er konnte sich ja nicht ewig vor ihr verstecken.
Ihr nächster Kunde war Ernie Mitchell. Ruby bat auch ihn, ihr Jed zu beschreiben.
»Heute kannst du ihn selbst in Augenschein nehmen, Mädchen«, sagte er.
»Wirklich?«
»Ja, hab gehört, er kommt in die Stadt.«
»Wer hat das gesagt?«
Ernie rutschte sichtlich unbehaglich auf dem Stuhl hin und her. »Weiß ich nicht mehr, aber gehört hab ich’s.«
Ruby traute ihm diesbezüglich genauso wenig wie den anderen Kunden vor ihm. Sie sah zufällig aus dem Fenster, als jemand vorbeiging und Ernie verstohlen ein Zeichen gab.
»Was hat das denn zu bedeuten?«, wollte sie wissen, während sie Ernie den Umhang abnahm und ihm die Haare von den Schultern bürstete.
»Das? Oh … äh … das war nur Wally, dieser Spaßvogel.« Ernie stand auf. Er hob unvermittelt den Zeigefinger und fragte: »Hörst du das?«
Ruby lauschte. »Nein, was denn?«
»Hörst du’s nicht? Das wird Jed auf Silver Flake sein.«
Ruby lauschte angestrengt, hörte aber rein gar nichts.
Ernie nickte. »Das ist er, jede Wette.« Er drückte Ruby zwei Dollar in die Hand.
Sie steckte das Geld ein, lief aus dem Laden und guckte aufgeregt die Hauptstraße hinunter, erst zur einen, dann zur anderen Seite. Durch den vom Wind aufgewirbelten roten Staub konnte sie in der Ferne tatsächlich einen Reiter erkennen, der einen Jockeydress in leuchtenden Farben trug.
»Er liebt große Auftritte, was?«, bemerkte sie zu Ernie, der neben sie getreten war.
»Er reitet einen Champion. Man kann es ihm nicht verdenken, dass er mit ihm angeben will.«
Inzwischen hatten sich am Straßenrand weitere Leute eingefunden, die sich das Schauspiel offenbar nicht entgehen lassen wollten. Ruby fieberte förmlich vor Aufregung. Endlich würde sie das Rennpferd sehen, das ihr Vater ihr hinterlassen hatte. Was für ein bewegender Augenblick! Sie vertraute Ernie, der ganz gerührt über ihr Geständnis schien, ihre Gefühle an.
Die Augen mit einer Hand beschattend, blickte sie dem Reiter entgegen. Er kam langsam näher, und dann, als er an ihr vorbeiritt, klappte Ruby der Unterkiefer herunter. Das Pferd war ein Esel, einer von denen, die durch die Stadt streiften, womöglich derselbe, der sie attackiert hatte, und der Reiter war einer der älteren Männer aus der Bar. Er trug einen Jockeydress in Lila und Gelb samt Jockeybrille, und er stand in den Steigbügeln und tat so, als triebe er den armen alten Esel mit der Reitgerte zu schnellerem Tempo an. Die Leute jubelten ihm zu, als er praktisch im Schneckentempo vorbeitrabte, und lachten schallend. Ruby warf Ernie, der sich ebenfalls vor Lachen bog, einen bitterbösen Blick zu.
»Wirklich sehr komisch«, fauchte sie. Sie machte auf dem Absatz kehrt, stürmte zurück in den Laden und warf die Tür hinter sich zu. Die Leute lachten noch lauter.
Ruby hatte sich noch nie so gedemütigt gefühlt.
Myra amüsierte sich köstlich über die Geschichte, als Ruby sie ihr am Abend erzählte.
»Das ist überhaupt nicht lustig«, jammerte Ruby, die ein bisschen Mitleid erwartet hatte. Myras Reaktion kränkte sie.
»Und ob das lustig ist«, keuchte Myra, die vor Lachen kaum noch Luft bekam. Sie lachte, bis ihr die Tränen über die Wangen rollten. »Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen! Das hätte ich zu gern gesehen!«
Ruby kniff ärgerlich die Lippen zusammen und entschied, dass offenbar nicht
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