Im Hauch des Abendwindes
einen Haarschnitt?«
»Ja. Es ist doch niemand gekommen, was hätte ich denn machen sollen? Mir geht es in erster Linie nicht um das Geld, obwohl ich es brauchen kann, sondern darum, das Vertrauen der Leute zu gewinnen und an Informationen zu kommen. Aber so sauer habe ich mir mein Geld noch nie verdient, das kann ich dir sagen! Die arme Helen sah zum Fürchten aus, weil ihr Mann versucht hatte, ihr die Haare zu schneiden.« Ruby schmunzelte. »Wahrscheinlich mit dem gleichen Apparat, mit dem er sonst die Schafe schert«, fügte sie hinzu.
»Und, hast du was retten können?«
»Ja, sie sieht jetzt richtig gut aus, wenn mir das Eigenlob gestattet ist. Und was noch wichtiger ist, sie selbst fühlt sich wieder wohl in ihrer Haut. Sie hat eine Naturkrause, die ich zwar ganz kurz schneiden musste, aber wenigstens kann sie sich jetzt wieder ohne Kopfbedeckung aus dem Haus wagen.«
Am anderen Morgen wartete bereits eine Kundin vor dem Laden, als Ruby um neun hinkam.
»Kostet ein Haarschnitt immer noch zwei Dollar?«, fragte sie.
Ruby nickte. »Ja.«
»Wunderbar. Dann würde ich mir jetzt gern die Haare schneiden lassen, und später, sobald die Schule aus ist, komme ich noch einmal mit meinen Kindern vorbei. Ich bin übrigens Sandy Wilkinson.«
Der Name kam Ruby bekannt vor. »Wilkinson … Dann sind Sie Burts Frau?«
»Stimmt.« Sandy blickte leicht verlegen drein. »Wie Sie heißen, weiß ich. Sie sind Stadtgespräch hier.«
»Ja, ich habe einen ziemlichen Wirbel veranstaltet, scheint mir«, erwiderte Ruby. »Aber jetzt wissen Burt und die anderen wenigstens, dass ich tatsächlich Miteigentümerin von Silver Flake bin. Sie haben mich alle für eine Lügnerin gehalten.«
»Nun, hätte Jed nur ein einziges Mal erwähnt, dass er einen Partner hat, hätte die Sache vermutlich anders ausgesehen«, meinte Sandy und setzte sich.
Ruby legte ihr den Umhang um. »Da haben Sie wahrscheinlich Recht.« Sie schwieg einen Augenblick und fragte dann: »Wie ist er denn so? Jed, meine ich.«
Sandy dachte kurz nach. »Tja, wie soll man ihn beschreiben … Wie Männer halt so sind. Er trifft sich gern mit seinen Kumpels im Pub, sagt nicht Nein zu einem Drink, schwatzt und lacht gern. Aber so sind die meisten hier draußen. Sie finden, Frauen sollten zu Hause bleiben, Kinder kriegen, kochen und waschen.«
»Oh.« Anscheinend hatte Sandy ein Hühnchen mit ihrem Mann zu rupfen. Viele Kundinnen schütteten beim Friseur ihr Herz aus, das wusste Ruby aus Erfahrung. Sie hatte so viele Geschichten gehört, dass sie ein Buch hätte schreiben können. »Wie sieht er denn aus? Ich würde ihn ja gar nicht erkennen, wenn er hier vorbeikäme.«
Sandy zuckte die Achseln. »Groß, dunkelhaarig und braun gebrannt, weil er mit seinem Pferd ständig an der frischen Luft arbeitet. Frisch rasiert und in sauberen Sachen sieht er gar nicht übel aus. Allerdings sieht man ihn so nur selten.«
Ruby versuchte, aus diesen Informationen ein Bild von Jed zusammenzusetzen. »Und was können Sie mir sonst noch über ihn sagen?«
»Nun, er hat dunkelbraune Augen und viele Lachfältchen in den Augenwinkeln. Er ist durchtrainiert, weil er gelegentlich als Viehtreiber arbeitet, um sich etwas dazuzuverdienen, damit er mit Flake zum nächsten Rennen fahren kann. Und er hat einen reichlich trockenen Humor, an den man sich erst gewöhnen muss.«
Das klang alles hochinteressant, fand Ruby. »Wie alt ist er eigentlich?«
»Hm, ich erinnere mich, dass Burt vor nicht allzu langer Zeit ziemlich angeheitert von Jeds Geburtstagsfeier nach Hause kam. Sie hätten Jeds Zweiunddreißigsten gefeiert, hat er gesagt. Andererseits ist mein Mann nie um eine Ausrede verlegen, wenn es darum geht, sich volllaufen zu lassen.«
Ruby lächelte. »Ist Jed verheiratet? Hat er Kinder?«
»Ich weiß nicht, ob er mal verheiratet war, hier hat er jedenfalls keine Frau. Ich glaube, er hat eine Zeit lang in Broken Hill gewohnt, aber auch anderswo, wo er Pferde trainiert hat. Hier verbringt er seine Zeit fast ausschließlich mit Silver Flake, wenn er nicht im Pub ist.«
Nicht lange nachdem Sandy Wilkinson gegangen war, betrat der erste männliche Kunde, ein älterer Herr namens Henry Cousins, den Laden. Ruby verwickelte auch ihn in ein Gespräch über Jed Monroe. Die Beschreibung, die Henry ihr gab, wich jedoch stark von der Sandys ab. Jed sei nicht sehr groß, etwa mittleren Alters mit ergrauendem Haar und einem eher mürrischen Wesen.
»Sind Sie sicher, dass wir denselben Mann
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