Im Haus des Wurms
Beinen. Zwischen einem Deckenvorsprung und der Wand hing ein Spinnengewebe, das er mit herumtappender Hand auf dem Hinweg zerrissen hatte. Eine Spinne sah er nicht.
Vielleicht war sie von einem anderen Höhlenbewohner gefressen worden. Rechts und links klafften verschieden große Löcher in den Wänden. Wurmlöcher, dachte Annelyn. Er hob ein Bein an und sah, daß sein Stiefel mit Dutzenden kleiner grauer Schnecken bedeckt war, die gierig am Leder nagten. Bevor die Streichholzflamme zum letzten Mal aufflackerte, hatte Annelyn einen Großteil der Schnecken vom Stiefel gepflückt und zwischen Daumen und Zeigefinger zerquetscht. Dann steckte er sie in den Mund. Sie schmeckten bitter und waren kaum zu vergleichen mit dem zarten Fleisch der fetten Schnecken, die von den Yaga-la-hai bei besonderen Anlässen serviert wurden. Aber Annelyn aß sie, selbst auf die Gefahr hin, daß er sich an ihnen vergif-ten konnte. Er war hungrig, und der Saft befeuchtete seine trockene Kehle.
Das Streichholz war verloschen, und Annelyn beschloß, in der selben Richtung weiterzugehen. Hier traf er auf Leben, während hinter ihm nur Trockenheit und Tod lagen. Er konnte immer noch umkehren, falls die Luft schlechter werden sollte.
Und sie wurde schlechter. Der Gestank war kaum mehr zu ertragen. Ein süßlicher Verwesungsgeruch füllte die Höhle und brachte Annelyn fast zum Erbrechen.
Irgendwo mußte ein Kadaver liegen.
Annelyn stolperte weiter, hielt sich die Nase zu und versuchte, durch den Mund zu atmen. Er betete, der Weiße Wurm möge ihn an dem verwesenden Aas vorbeiführen.
Aber er trat mitten hinein.
Zuerst tappte er noch durch klebrigen Lehm, dann fühlte er plötzlich einen elastischen Widerstand, der unter dem Druck seiner Stiefel aufbrach. Bis zu den Waden versank er in einer breiigen, zähen Flüssigkeit. Ein beißender, schrecklicher Gestank schlug ihm entgegen.
Annelyn würgte die Schnecken aus, die er soeben gegessen hatte, und taumelte zurück.
Keuchend lehnte er an der Wand, vergrub die Nase in der Armbeuge und suchte mit der freien Hand nach einem Streichholz. Er zündete es an und beugte sich vor, um zu sehen, in was er hineingetreten war. Seine Hand zitterte. Bis auf die Streichholzflamme konnte er zunächst nichts erkennen. Er trat einen Schritt vor.
Der Weiße Wurm lag verwesend in der Höhle.
Annelyn schreckte zurück, und die Flamme verlosch.
Er brauchte eine Weile, um sich von dem Schock zu erholen. Dann steckte er ein weiteres Streichholz an. Es beleuchtete einen Teil des langen Kadavers. Zehn Streichhölzer waren insgesamt nötig, um sicheren Fußes an ihm vorbeizukommen.
Der Wurm
– Annelyn war schließlich der
Überzeugung, daß es sich doch nicht um den Weißen Wurm handeln konnte
– hatte ein spätes
Verwesungsstadium erreicht und den Punkt der Reife weit überschritten, wofür Annelyn sehr dankbar war. Der gärende Rest stank schlimm genug. Obwohl der Wurm ineinandergefallen war, füllte er die Höhle noch zu zwei Dritteln aus. Annelyn mußte sich an der Wand entlangquetschen, um ihn passieren zu können. Tausende von kleinen Würmern und anderen Kriechtieren hatten das riesige Aas zerfressen. Manche speisten immer noch daran. Unter der milchig-transparenten Haut des großen Wurms sah Annelyn das Gewimmel kleiner Tiere.
Die Haut war das eigentlich Entsetzliche. Während das Fleisch zu einem ekligen Brei verwest oder von Aasfressern verzehrt worden war, schien die Haut noch völlig intakt zu sein. Sie glich dickem Leder, war zwar spröde und rissig, aber im großen und ganzen unversehrt.
Ja, das Schreckliche war, daß sie offensichtlich von nichts zerstört werden konnte.
Ebenso grauenhaft war das Maul. Annelyn sah es nur kurz in der Streichholzflamme aufleuchten. Es hatte Zähne, genauer gesagt Zahnreihen. Fünf konzentrische Kränze saßen hintereinander in dem kreisförmigen Maul, das groß genug war, um Kopf und Schultern eines ausgewachsenen Mannes zu verschlingen. Die inneren Zahnreihen bestanden aus gewöhnlichem Knochen-material. Die Zähne des äußersten, größten Ringes schimmerten blauschwarz und schienen aus Metall zu sein.
Das, was den Anblick des Wurms schließlich auch noch so entsetzlich machte, war seine Länge. Annelyn hatte sie gemessen, Schritt für Schritt, ein Streichholz nach dem anderen. Der Wurm war mindestens zwanzig Fuß lang.
Ohne noch mehr Streichhölzer zu vergeuden, machte er sich, so schnell er konnte, davon. Lärmend lief und stolperte er durch die
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