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Im Haus des Wurms

Im Haus des Wurms

Titel: Im Haus des Wurms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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ihnen vorbei.
    Unter dem violetten Überzug schien an manchen Stellen Metall aufzublinken. Aber Annelyn war sich nicht sicher und wußte nicht, wozu diese Entdeckung gut sein sollte.
    Auf der rechten Seite des gewölbten Raumes sah er unter dem Pilzbewuchs eine schwach glänzende Erhebung. Rohre? Nein. Ein graphisches Muster. Jetzt war es deutlich zu erkennen: ein Theta, umgeben von Wurmlöchern.
    Annelyn berührte das mit Gold gestickte Abzeichen auf seiner Brust. Vielleicht war das der Grund, warum die Freßwürmer nicht über ihn herfielen. Was hatte der Fleischbeschaffer noch gesagt? Die Meister der Umwälzung schufen die großen Würmer und andere Ungeheuer. Sie trugen das Theta-Zeichen, waren die besten Freunde der Yaga-la-hai und die ärgsten Feinde der Grauns… War es möglich, daß diese Monstren nur Grauns fraßen? Daß sie ihn für einen Meister der Umwälzung hielten und ihn deshalb verschonten?
    Annelyn konnte dieser Erklärung keinen Glauben schenken. Wie sollten ein paar goldene Fäden diese Ungeheuer aufhalten? Annelyn warf noch einen Blick auf das Zeichen an der Wand und ließ den Gedanken fallen.
    Er richtete wieder seine Aufmerksamkeit auf den Raum. Hier und da entdeckte er Ausgänge.
    Im ganzen waren es drei, in jeder Wand einer. Ein vierter Ausgang lag wahrscheinlich unter ihm. Aber von seinem Standort aus hatte er keinen Einblick. Die Tore vor jedem dieser Gänge waren doppelflüglig und bestanden offensichtlich aus Metall. Das Tor unter dem Theta-Zeichen schien felsenfest verrammelt zu sein.
    Annelyn konnte ein paar Details ausmachen. Er sah schwere Riegel, Querstreben und Schlösser.
    Zugerostet, dachte er. Wie lange schon? Unmöglich, dieses Tor zu bewegen. Aber welcher Ausweg blieb sonst? Die anderen Gänge waren Wurmlöcher. Selbst diejenigen, die leer zu sein schienen, würden nach wenigen Metern graun-finster sein. Das Risiko, einem Freßwurm zu begegnen, war zu groß. Annelyn wollte lieber alle anderen Risiken eingehen.
    Bliebe er hier, so würde er verhungern oder schließlich doch von den Würmern angefallen werden. Er mußte entweder vor oder zurück.
    Er wußte, was hinter ihm lag. Die Höhle des toten Wurms war zwar sicher, aber dahinter erwartete ihn die riesige Kammer, Grauns und eine unendliche schwarze Leere. Nie würde er den Tunnel wiederfinden, durch den er dorthin gelangt war. Diesen Weg schloß Annelyn aus.
    Er seufzte. So lange hatte er bereits die Dunkelheit durchstreift! Er war müde und fühlte sich dem drohenden Unheil ohnmächtig ausgeliefert. An den Fleischbeschaffer und seine Rache dachte er nicht mehr.
    Er war verloren, egal zu welchem Entschluß er auch kommen würde. Die Grauns, die Meister der Umwälzung, das Dritte Volk – all das war für ihn jetzt ohne Bedeutung.
    Damals, während eines Maskenballs, hatte er sich einen Freidenker genannt. Aber jetzt kehrten die uralten Gebete und heiligen Formeln in seine Erinnerung zurück, die so oft vom Menschwurm mechanisch heruntergeleiert worden waren. Annelyn hatte sie meist spöttisch belächelt. Aber jetzt schienen sie zu ihm zu sprechen. Sie tanzten in einem makabren Reigen durch seinen Kopf und purzelten ihm über die Lippen. Mit fistelnder Stimme sprach er die Worte aus. Selbst Riess (der pummelige, tote Riess) hätte in diesem Augenblick so leise und zaghaft gesprochen.
    »Der Weiße Wurm hat viele Namen«, sagte Annelyn mit starrer Miene, »doch nicht einer war den Menschenkindern heilig. Jahrhundertelang lästerten sie über ihn. Wir aber sind Kinder des Wurms, und wir lästern nicht. Der Weiße Wurm läßt sich nicht spotten. Er ist die letzte Kraft im Universum, und der Weise wartet gelassen auf seine Ankunft, tanzt und feiert während der Zeit, die ihm verbleibt.
    Preiset den Weißen Wurm, der da heißt Yaggalla. Und trauert nicht, auch wenn unser Licht versiegt und stirbt.
    Preiset den Weißen Wurm, der da heißt Verfall. Und trauert nicht, auch wenn unsere Kräfte nachlassen und scheitern.
    Preiset den Weißen Wurm, der da heißt Tod. Und trauert nicht, auch wenn das Leben verlischt und alles vergeht.
    Preiset den Weißen Wurm, der da heißt Entropie. Und trauert nicht, auch wenn die Sonne für immer untergeht.
    Das Ende naht. Feiert. Die Schiffe sind fort. Trinkt. Die Schlachten sind geschlagen. Tanzt. Und preiset, preiset den Weißen Wurm.«
    Stille. Annelyn blickte auf die langen, bleichen Ringeltiere hinab. Wie dumm von ihm, sich gegen das Schicksal aufzulehnen. Die Schlachten waren geschlagen. Es

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