Im Haus des Wurms
Dunkelheit, bis der Gestank nur noch seinem Gedächtnis anhaftete und er wieder frei atmen konnte. Auf der Flucht nach vorn fand Annelyn eine Erklärung dafür, warum die Höhle so seltsam anmutete. Ein Wurmloch. Er kicherte wie von Sinnen.
Das mußte ein Wurmloch sein.
Als die Luft wieder sauber und erträglich war, verlangsamte er den Schritt. Er hatte keine andere Wahl, als in gleicher Richtung weiterzugehen.
Er erinnerte sich an das unverständliche Zeug, das der Fleischbeschaffer im Zusammenhang mit den Meistern der Umwälzung geplappert hatte. Die Bemerkung über
»große, weiße Freßwürmer, die tagtäglich zu einer größeren Zahl heranwachsen«, war ihm völlig abstrus vorgekommen. Jetzt aber ergab sie einen Sinn. Der Fleischbeschaffer hatte von den Meistern der Umwälzung gesprochen und von deren Schöpfungen, die die Grauns bedrohen sollten. Zum ersten Mal in seinem Leben empfand Annelyn Mitleid mit den Grauns.
Die Höhle machte einen Bogen. Langsam tastete sich Annelyn voran.
Dann sah er ein Licht.
Zuerst wollte er seinen Augen nicht trauen. Aber er täuschte sich nicht. Das Licht war ein violettes Glühen und so schwach, daß es fast von der Dunkelheit der Höhle verschluckt wurde. Seine Augen waren jedoch mittlerweile so empfindlich geworden, daß sie jeden noch so geringen Schimmer wahrgenommen hätten.
Ohne das Tempo zu beschleunigen, ging er auf das Licht zu. Er wagte es nicht, Hoffnung aufkommen zu lassen. , Je näher er kam, desto größer wuchs die Lichtquelle.
Doch sie wurde nicht heller und blieb ohne Leuchtkraft.
Außer ihr war nichts zu erkennen.
Nach einer Weile konnte Annelyn sehen, daß die Lichtquelle rund war. Das Ende der Höhle. Das Wurmloch schien in irgendeinen Raum zu münden.
Erst als die glühende Scheibe zur Größe eines Mannes herangewachsen war, faßte Annelyn sich ein Herz und fing vor Erregung zu zittern an. Er lief die letzten Meter, rannte auf den violetten Hoffnungsschimmer, das magische Lichtportal, zu. Er stemmte die Arme gegen die Höhlenwände und blickte durch die Öffnung nach unten.
Sein Atem stockte.
Unter ihm lag eine riesige Kammer, größer noch als die des Meisters der Umwälzung. Das Wurmloch, in dem er stand, war ein runder Einschnitt hoch oben in der steinernen Wand des Saales. Er sah Hunderte von anderen Wurmlöchern. Die meisten waren leer, aber in manchen bewegte sich etwas. Decke, Wände und Boden überwucherte ein fleischiger Pilz, der dem Gewächs im Thronsaal des Fleischbeschaffers ähnlich sah. Violett, bizarr, unheimlich. Der ganze Raum wurde vom diffusen Licht des phosphoreszierenden Pilzes durchflutet.
Da stand ein großer Behälter, gefüllt mit irgendeiner Flüssigkeit. An der Decke hingen Kugeln, aus denen eine andere Substanz tropfte. Im heißen Schwall der Luftschächte wehten fadenförmige Gewächse. Aber von alldem nahm Annelyn kaum Notiz. Er starrte auf die Würmer.
Freßwürmer. Riesen mit einer Länge von vierzig Fuß, kleinere von der Größe des Kadavers, auf den er gestoßen war, tote Würmer und ein millionenfaches Gewimmel von Nachwuchs. Dieser Saal war ein Nest der Freßwürmer, ein gigantischer Brutkasten, ein Kindergarten der Ungeheuer. Aber kein Gefängnis; nicht für Wesen, die sich durch Gestein beißen konnten, nicht für diese Schreckgestalten aus durchschimmerndem Fleisch und Zähnen aus Eisen. Annelyn schlug das Zeichen des Wurms, wurde sich im selben Augenblick der Bedeutung dieser Geste bewußt und kicherte irre. Er war ein toter Mann.
Wie angewurzelt stand er da, während unter ihm die Schattenwesen durch das feuchte Violett des düsteren Raumes glitten.
Es dauerte eine Weile, bis Annelyn endlich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Keines dieser Monstren schien auf ihn zuzukommen. Noch hatten sie ihn nicht bemerkt, und das schürte sein winziges Hoffnungsfeuer. Er war entschlossen, für sein Überleben zu kämpfen. Die Augen brannten vor Anstrengung, als er den schüsselförmigen Raum aufmerksam musterte.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums entdeckte Annelyn senkrecht zur Wand verlaufende Konturen. Der Pilzbewuchs war an diesen Stellen zu Falten aufgeworfen, die sich an der Decke fortsetzten und bei den Kugeln zusammenliefen. Rohre, dachte Annelyn.
Wasserleitungen. Die
Yaga-la-hai
kannten Was-
serleitungen, obwohl sie dafür keine Verwendung hatten.
Auf dem Boden glaubte Annelyn klobige, überwucherte Gegenstände ausmachen zu können. Die Würmer krochen über sie hinweg und an
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