Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Haus des Wurms

Im Haus des Wurms

Titel: Im Haus des Wurms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
Vom Netzwerk:
grunzend, rückten sie näher an ihn heran. Im letzten Augenblick dachte Annelyn an die Champignonsauce, die er in einem Ledersäckchen am Gürtel mit sich trug und die die Grauns sicherlich in die Flucht schlagen würde. Jeder wußte, wie groß die Angst der Grauns vor Champignonsauce war. Aber bevor Annelyn ihnen die Sauce entgegenschleudern konnte, hatten ihn die weichen, weißen Hände in die Dunkelheit gezerrt.

    Er war mit schweren Ketten an Armen und Beinen auf einfahrbares Bett gebunden worden und litt schreckliche Schmerzen. Er hob langsam und mühevoll den Kopf und blickte in die Kammer des Meisters der Umwälzung. Im düsteren, violetten Licht erkannte er verschwommen den Fleischbeschaffer, der am Fußende des Bettes kniete und an seinem Sprunggelenk nagte. Der Umhang, den der Fleischbeschaffer trug, schien aus der gegerbten Haut von Vermyllar genäht zu sein.

    Die Visionen verloren an Schärfe. Annelyn wachte in völliger Dunkelheit auf. Er lag auf einem staubigen, felsigen Untergrund und spürte am ganzen Körper Druckstellen von scharfkantigen Steinen. Sein Fußgelenk schmerzte. Er richtete sich auf, tastete die schmerzende Stelle ab und stellte erleichtert fest, daß der Fuß bloß
    #umgeschlagen war. Dann untersuchte er den Rest des Körpers. Alle Knochen schienen heil geblieben zu sein.

    Die Streichhölzer waren noch da, Wurm sei Dank. Aber das Messer fehlte, es mußte irgendwann während der Flucht oder des Sturzes verlorengegangen sein. Wo war er?
    Er stand auf und stieß mit dem Kopf gegen eine niedrige Decke. Die Schmerzen im Gelenk waren nicht auszuhalten. Annelyn verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein, streckte den Arm aus und lehnte sich gegen die Wand. Die Wand war weich und zerbröckelte unter dem Druck seiner Hand. Eine seltsame Höhle, dachte Annelyn, eine Höhle aus Lehm und Dreck, nicht etwa aus Stein oder Metall. Er tastete zögernd über die Oberfläche, ging ein paar Schritte weit und stellte fest, daß sowohl Decke als auch Boden schrecklich uneben waren. Wo war er?
    Er erinnerte sich an den Sturz. Er war vor dem Graun durch die riesige Kammer davongelaufen, in ein Loch gefallen und hier unten gelandet. Vielleicht hatten ihn sogar die Grauns gefunden und an diesen Ort verschleppt, aber das schien ihm unwahrscheinlich zu sein. Sie hätten ihn mit Sicherheit getötet. Nein, er war wohl in einen schräg abfallenden Schacht gefallen, ohnmächtig geworden und bis an diese Stelle gerutscht.
    So etwa mußte es gewesen sein. Auf jedem Fall konnte Annelyn kein Loch in der Decke erkennen. Über ihm war nichts als trockener, bröseliger Lehm, und wenn er sich bewegte, rieselte feiner Staub auf ihn nieder.
    Ein neuer Schrecken überkam ihn. Diese Höhle war sehr trocken und spröde. Wenn die Decke einstürzte, saß er wirklich in der Falle. Es gäbe keinen Ausweg mehr, nie mehr. Wohin konnte er jetzt gehen?
    Eins war klar: Hier konnte er nicht bleiben. Die heiße, stickige Luft beklemmte ihn. In den pulvertrockenen Wänden waren nirgends Luftschächte auszumachen. Zu allem Übel wurde Annelyn hungrig. Wie lange mochte er schon hier unten sein? Wann waren er, Riess und Vermyllar zu ihrem Rachefeldzug aufgebrochen? Vor ein paar Stunden – oder vor Tagen? Wann hatte er zum letzten Mal gegessen oder getrunken? Er wußte keine Antwort.
    Annelyn humpelte los, schonte den schmerzenden Fuß und tastete mit den Händen an der Wand entlang. Meist mußte er gebückt gehen, denn die Decke war sehr niedrig. Trotz der Vorsicht, mit der er sich voranbewegte, stieß er zweimal mit dem Kopf gegen hervorspringende Felszacken. Die Beulen an der Stirn ließen ihn den schmerzenden Knöchel vergessen.
    Bald machte sich in der Höhle eine Veränderung bemerkbar. Je weiter er ging, desto klammer wurden die Wände. Schließlich waren sie spürbar feucht, fast schlammig. Annelyn konnte die Faust in die Wand eingraben und den kalten Lehm zwischen den Fingern hervorquellen lassen. Mit jedem Schritt sanken seine Stiefel tiefer ein. Zog er einen Fuß aus dem modrigen Untergrund, so entstand ein saugendes, schmatzendes Geräusch. Die Luft wurde immer stickiger. Annelyn dachte daran umzukehren, als er einen eigenartigen Geruch wahrzunehmen glaubte.
    Er beschloß, ein Streichholz zu opfern.
    Die Flamme brannte nur eine Minute, aber das reichte ihm. Er hatte sich umgedreht und konnte gerade noch sehen, wie etwas Wildes, Finsteres raschelnd in die Dunkelheit wegtauchte: ein augenloser, behaarter Schatten auf vielen

Weitere Kostenlose Bücher