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Im Haus des Wurms

Im Haus des Wurms

Titel: Im Haus des Wurms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Du hast ein Kind aus mir gemacht.
    Bring mir auch etwas zu essen.«
    Morgan kicherte. »So ernst und gewichtig. – Und wenn ich es nicht tue?«
    »Wenn nicht«, sagte Shawn, »dann werfe ich das hier durch dein Fenster.« Zur Betonung hob sie den Windwolf.
    »Nein«, sagte Morgan. Ihr Gesichtsausdruck war undefinierbar. »Das wirst du nicht tun wollen, Kind.«
    »Und ob ich das will«, sagte Shawn, »außer du tust, was ich sage.«
    »Du willst mich doch gar nicht verlassen, Shawn Carin.
    Nein, das willst du nicht. Wir lieben uns, erinnere dich daran. Wir sind eine Familie. Ich kann Zauberdinge für dich tun.« Ihre Stimme zitterte. »Leg das weg, Kind! Ich zeige dir Dinge, die ich dir noch nie zuvor gezeigt habe.
    Es warten noch so viele Orte auf uns, wo wir zusammen hingehen können, und so viele Geschichten, die ich dir erzählen kann. Leg das weg!« Jetzt bat sie wirklich.
    Shawn fühlte Triumph in sich aufsteigen; doch seltsamerweise traten ihr Tränen in die Augen. »Warum bist du so ängstlich?« fragte sie wütend. »Du kannst doch ein zerbrochenes Fenster mit deinen Zauberkünsten flicken, oder? Sogar ich kann ein Loch im Fenster flicken, und Creg sagt, ich sei nun wirklich zu kaum etwas nütze.« Die Tränen rannen ihr ganz still, ganz leise über die nackten Wangen. »Es ist warm draußen, das kannst du doch erkennen. Der Mond scheint so hell, daß man darunter arbeiten kann, und sogar eine Stadt liegt in der Nähe. Du könntest auch einen Glaser beauftragen.
    Ich verstehe einfach nicht, warum du solche Angst hast.
    Ja, wenn draußen Tiefwinter wäre, mit Eis und Kälte und Vampiren, die in der Dunkelheit jagen. Aber so ist es ja nicht.« »Nein«, sagte Morgan. »Nein.«
    »Nein«, äffte Shawn sie nach. »Bring mir jetzt meine Sachen.«
    Aber Morgan regte sich nicht. »Es waren nicht nur Lügen. Wirklich nicht. Wenn du bei mir bleibst, wirst du sehr lange leben. Ich glaube, es liegt am Essen. Aber die Tatsache an sich ist nicht erlogen. Vieles war wahr, Shawn. Ich wollte dich nicht wirklich belügen. Ich wollte nur das Beste, so wie es mir zuallererst ergangen ist. Ein bißchen muß man etwas vorgaukeln, das weiß doch jeder. Einfach vergessen, daß das Schiff sich nicht bewegen kann. Es ist besser so.« Morgans Stimme klang jung und eingeschüchtert. Sie war eine Frau, aber sie bettelte wie ein kleines Mädchen, im Tonfall eines kleinen Mädchens. »Zerbrich das Fenster nicht. Das Fenster ist das magischste von allen Dingen. Es kann uns überall hinführen, fast zumindest. Bitte, bitte zerbrich es nicht, Shawn! Bitte nicht!«
    Morgan erschauderte. Die bunten Stoffe, die sie trug, wirkten mit einemmal abgetragen und abgenutzt, und ihre Ringe funkelten nicht mehr. Sie war nur noch eine verrückte, alte Frau. Shawn ließ den schweren Glaswindwolf ein Stück sinken. »Ich will meine Kleider, mein Schwert und meine Skier. Und etwas zu essen.
    Bring mir alles, und dann werde ich möglicherweise dein Fenster nicht zerbrechen, Lügnerin. Hast du mich verstanden?«
    Und Morgan, von der alle Magie gewichen war, nickte und tat, wie ihr befohlen. Shawn beobachtete sie schweigend. Sie wechselten nie mehr ein Wort miteinander.

    Shawn kehrte nach Carinhall zurück und wurde dort alt.
    Ihre Rückkehr war eine Sensation. Shawn entdeckte, daß sie länger als ein Standardjahr vermißt gewesen war, und jeder hatte geglaubt, sie sei mit Lane gestorben. Creg weigerte sich zuerst, ihre Geschichte zu glauben, und die anderen folgten ihm dabei. Bis Shawn ein Bündel Bitterblumen vorzeigte, die sie sich aus dem Haar gepflückt hatte. Selbst dann wollte Creg noch immer nicht die phantastischen Stellen ihrer Geschichte glauben.
    »Trugbilder«, schnaubte er, »alles nur Trugbilder.
    Tesenya hat die Wahrheit gesprochen. Wenn du noch einmal an die Stelle zurückkehrst, wirst du feststellen, daß das Zauberschiff verschwunden ist, ohne irgendeinen Hinweis zu hinterlassen, daß es jemals dort gestanden hat. Glaub es mir, Shawn!« Aber das Mädchen fand nie heraus, ob Creg selbst von seinen Worten überzeugt war.
    Er gab neue Anordnungen aus, und kein Mann und keine Frau der Familie Carin gingen jemals wieder den Weg des Mädchens.
    Die Verhältnisse in Carinhall änderten sich nach Shawns Rückkehr. Die Familie war kleiner geworden.
    Lanes Gesicht war nicht das einzige, das Shawn in der Runde vermißte. Die Nahrungsreserven waren während ihrer Abwesenheit sehr knapp geworden, und Creg hatte gemäß dem Familienbrauch die

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