Im Haus des Wurms
wurde, die kamen und vorher verschwanden, aber sie hatte zuviel Angst. Sie erinnerte sich an Creg, der explodierte, wenn man ihm die falsche Frage stellte. Und falls die ältere Frau wirklich die tötete, die das Schiff betreten wollten, wäre es nicht klug von Shawn, sie danach zu fragen. Als Shawn noch ein Kind gewesen war, hatte Creg sie nach ihrer Frage, warum die alte Tesenya nach draußen gehen und dort sterben sollte, ganz fürchterlich verdroschen.
Bei anderen Fragen, die Shawn zu stellen wagte, mußte sie feststellen, daß Morgan gar nicht darauf antwortete.
Die ältere Frau sprach nie über ihre Herkunft oder die Quelle ihrer Nahrungsmittel, oder welche Zauberkraft das Schiff fliegen ließ. Zweimal wollte Shawn die Zaubersprüche erfahren, die das Schiff von Stern zu Stern bewegten, aber Morgan lehnte nur mit ärgerlicher Stimme ab. Und sie hatte auch noch andere Geheimnisse vor Shawn: Zimmer, die sich dem Mädchen nicht öffneten, Gegenstände, die sie nicht berühren durfte, und andere Dinge, über die Morgan gar nicht erst reden wollte. Von Zeit zu Zeit verschwand Morgan, wie es schien tagelang, und Shawn wanderte dann niedergeschlagen herum; und das Fenster zeigte nichts, was ihren Geist beschäftigen konnte, außer trägen Sternen, die nicht blinzelten. Bei der Rückkehr von solchen Ereignissen war Morgan immer düster und verschlossen. Aber nur wenige Stunden lang, und danach gab sie sich ganz normal.
Bei Morgan unterschied sich »normal« sehr von anderen Leuten. Sie tanzte endlos im Schiff herum und sang vor sich hin, manchmal mit Shawn als Tanzpartnerin und manchmal allein. Sie unterhielt sich mit sich selbst in einer musikalischen Sprache, die Shawn nicht verstand. Andere Male trat sie dagegen so ehrwürdig wie eine alte Mutter auf, und dreimal so weise wie die Stimme einer Familie. Und dann wieder alberte und kicherte sie herum wie ein kleines Kind, das erst eine Jahreszeit lebte. Manchmal schien Morgan genau zu wissen, wer Shawn war, und andere Male verwirrte sie das Mädchen mit jener anderen Shawn Carin, die während der Versammlungen ihre Liebhaberin gewesen sein sollte. Morgan war sehr geduldig und sehr heftig, und sie unterschied sich von allen anderen Personen, die Shawn je kennengelernt hatte. »Du bist albern«, sagte Shawn ihr einmal. »Du wärst nicht so albern, wenn du in Carinhall leben würdest. Alberne Leute sind zu unvorsichtig und sterben, weißt du, und damit fügen sie ihren Familien Schaden zu. Jeder muß sich nützlich machen, und das tust du ganz und gar nicht. Creg würde es dir schon beibringen, dich nützlich zu machen. Du kannst froh sein, daß du nicht in Carinhall lebst.«
Morgan hatte Shawn daraufhin gestreichelt und sie mit traurigen, grauen Augen angesehen. »Arme Shawn«, hatte sie geflüstert. »Man war so grausam zu dir. Aber die Carins waren immer hart. Im Alynne-Haus ist das ganz anders. Dort hättest du geboren werden sollen, in Alynne.« Und danach sprach sie nie mehr über dieses Thema.
Shawn verschleuderte die Tage mit Überraschungen und die Nächte mit Liebe. Und an Carinhall dachte sie immer weniger. Allmählich entdeckte sie, daß Morgan in ihren Augen so etwas wie ihre Familie geworden war.
Mehr noch, sie begann Morgan zu vertrauen.
Bis zu dem Tag, da sie die Bitterblumen kennenlernte.
Shawn wachte eines Morgens auf und bemerkte, daß das Fenster voller Sterne und Morgan verschwunden war.
Das bedeutete in der Regel eine lange, langweilige Wartezeit. Aber dieses Mal kehrte die ältere Frau schon zurück, als Shawn sich gerade über die Mahlzeit hermachte, die Morgan für sie bereitgestellt hatte. In den Händen trug die Frau blaßblaue Blumen.
Morgan war so aufgeregt; Shawn hatte sie noch nie zuvor in diesem Zustand gesehen. Morgan drängte das Mädchen, ihr halbbeendetes Frühstück stehenzulassen und zum #Feilager am Fenster zu kommen, damit sie Shawn die Blumen ins Haar flechten konnte. »Ich habe sie entdeckt, während du geschlafen hast, Kind«, sagte Morgan glücklich. »Dein Haar ist lang gewachsen.
Vorher war es so kurz, so garstig abgeschnitten und häßlich. Aber jetzt bist du lange Zeit hier gewesen, und nun sieht es besser aus: es ist so lang wie meins. Die Bitterblumen werden es erst wirklich verschönen.«
»Bitterblumen?« fragte Shawn neugierig. »Nennst du sie so? Ich habe den Namen noch nie gehört.«
»Ja, Kind«, antwortete Morgan, während sie Shawns Haar bürstete und arrangierte. Das Mädchen hatte ihr den Rücken
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