Im Heimlichen Grund
flache, eckige, scharfkantige Bruchsteine, wie sie auf der Salzlehne herumlagen. Dorthin begab er sich. Den Schlitten ließ er auf der rechten Bachseite. Auf den Gangsteinen, die mit ihren Schneehauben weit aus dem seichten Wasser ragten, überschritt er den Bach. Mit Evas Schneeschaufel, die er an einen langen Stiel gebunden hatte, säuberte er einen Fleck der Schutthalde von Schnee und zerrte eine Anzahl Mergelplatten aus dem Gesteins-Schutt.
Da er die Steine einzeln zum Schlitten tragen mußte, wurde ihm vom Schleppen gehörig warm. So arbeitete er tagsüber und nahm sich kaum Zeit, etwas zu essen. Erst in der Dämmerung fiel er über das Fleisch her, bastelte noch ein wenig im Schein des Feuers und schlief dann die Nacht durch. Am Abend des dritten Tages war die Mauer bis zur halben Höhe des Höhleneingangs gediehen.
Nur an der Seite, wo Peter sein Lager hatte, standen die obersten Steine an der Höhlendecke an.
Daneben war eine Lücke als Durchlaß für den Steigbaum, zu deren Verschluß ein aus Ruten geflochtenes, mit Fellen behängtes Türgitter eingefügt werden konnte.
Am Morgen des vierten Tages war es unmöglich, draußen etwas zu unternehmen. Es schneite nicht, aber dicker, gelbgrauer Nebel erfüllte den Talkessel, die Luft schien zu stehen. Matt leuchtete die Sonne als rote Scheibe durch den Dunst, den ihre Strahlen nicht aufzulösen vermochten. So blieb es bis Mittag, dann wurde der Ausblick über denTalgrund frei, die Sonne brach durch die Nebelmassen und verzehrte sie.
Als die Ostseite des Sonnsteins im Schatten lag, schien die Mittagssonne hell in die Tiefe des Heimlichen Grunds. Schneewasser tropfte von allen Zweigen und rieselte glitzernd an Ästen und Stämmen herab.
Peter, der erst aus seiner Schlafgrube gekommen war, als Eva ihn zum Essen gerufen hatte, aß im Stehen und machte sich dann zur Salzlehne auf, um neue Bausteine zu holen. Er stapfte durch Schneematsch. Als er den Bach überschritt, fiel ihm auf, daß die Gangsteine verschoben und leicht überflutet waren. Der Bach rauschte lauter als sonst. Die Luft über dem Talgrund war so klar, daß Peter die Umrisse der drei Gipfel über den Klammwänden – Horn, Henne und Spitz – deutlicher sah als jemals. Über den Zinnen der Grabwände entstanden leichte Wölkchen und lösten sich rasch wieder auf. Dann bildete sich eine lange, massige Wolkenbank, die am Rande der Felsen zu kleben schien.
Das alles sah Peter mit Befremden. Von Ahnls Zeiten her wußte er, daß der warme Föhn, der Schneefresser, auf den diese Vorzeichen gepaßt hätten, im Frühling wohl zu fürchten war, wo er große Schneemassen zum Schmelzen brachte. Jetzt aber war es Spätherbst, und es lag wenig Schnee.
*
Als Peter das Steinesammeln wieder aufnahm, bemerkte er, daß der Schnee zusehends schwand, und unter seinen Füßen und ringsumher raunten und rieselten Wässerchen. Von den einzeln stehenden Bäumen fielen große Tropfen wie nach einem Platzregen. Peter brauchte die Schaufel nicht mehr, die Steinplatten sahen naßglänzend aus dem Geröll hervor. Er nahm auf, was er heben konnte, und schleuderte es die Lehne hinab. Dabei wurde ihm sonderbar heiß. Noch schrieb er die Wärme seiner Anstrengung zu;aber eine seltsame Niedergeschlagenheit erfaßte ihn, eine angstvolle Unrast und Mattigkeit, die er nicht zu deuten wußte. Plötzlich horchte er auf: Ein gewaltiges Brausen ging durch die Luft. Und die Wolkenbank dort drüben am Rande der Grabwände hatte sich in Fetzen aufgelöst, die, vom Sturm gedrückt, über die Wandränder niederfegten zum Grund, wo sich noch kein Blatt regte.
Dann stieß ein heißer Windstoß herab, der die Eschen und Fichten wie Schilfhalme bog; da und dort stürzte krachend ein Baum. Peter stand wie gelähmt. Gebannt sah er die rasende Bewegung der Wolkenfetzen, die der brausende Sturm von den Grabwänden zum Talgrund niederjagte und dann an der Südwand emporriß.
Der Schnee um ihn her war ganz verschwunden. Plötzlich erschütterte ein donnerartiges Getöse, dem ein Prasseln und Knattern folgte, die Luft. War eine Lawine, ein Steinschlag niedergegangen? Ungewiß, ob nicht auch über ihm todbringende Massen in Bewegung geraten seien, stürzte Peter in langen Sätzen abwärts, durchwatete den stark angeschwollenen Bach und hastete nach seiner Höhle. Dort angekommen, hockte er sich hinter die Mauer ins Laub seines Lagers. Jetzt erst fühlte er sich geborgen. Eva kauerte sich schluchzend neben ihn. Er starrte wie betäubt vor sich
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