Im Herzen der Feuersonne
Beide â die einstigen Herren und die schwarzen Arbeiter â waren
heimatlos und irrten unheilverbreitend umher.
Sebastians Schreie erstarben jäh, als er seine
Eltern auf die Stallungen zukommen sah. Er drückte Will die Zügel des halbhohen
Ponys in die Hand und lief mit ausgebreiteten Armen auf seine Mutter zu. »Mama!
Wie schön, dass du gekommen bist. Schau nur, was ich gelernt habe!« Er nahm
Charlotte bei der Hand und zog sie mit sich.
»Darf ich es auch sehen?« Ben lächelte seinen
jüngeren Sohn an. Sebastian trug seinen Sonntagsstaat, eine dunkelblaue Hose,
dazu ein Samtwams in drei helleren Blautönen. Und darunter ein dünnes weiÃes
Hemd, das einen breiten, mit Spitze abgesetzten Kragen hatte. Allerdings wies es
jetzt einige dunkle Flecken auf â Spuren von Pferdemist und von Speichel.
»Nicht böse sein, Mama, ich kann gar nichts
dafür«, sagte er, als er sah, dass Charlotte unwillig auf die beschmutzte
Kleidung schaute. »Will hat nicht aufgepasst. Er sollte mein Pony striegeln und
satteln. Das hab ich ihm befohlen. Aber er wollte nicht.«
»Will ist nicht dein Stallknecht«, warf Ben ein.
»Du weiÃt genau, dass ich möchte, dass du dein Pferd selbst versorgst. Und dazu
gehört vor dem Ausreiten auch, dass es gestriegelt und ordentlich gesattelt
wird.«
Sebastian senkte den Kopf und biss sich auf die
Lippen.
»Das weià ich ja«, stieà er hervor. »Aber ich
wollte mich nicht schmutzig machen.« Er hob Charlottes Hand an die Lippen. »Ich
weià doch, dass Mama das nicht mag, wenn man gute Kleidung trägt. Jetzt muss ich
mich vor dem Mittagessen allerdings noch einmal umziehen.« Er machte eine kleine
Verbeugung. »Ihr entschuldigt mich â¦Â« Und schon ging er mit langen Schritten ins
Gutshaus.
»Will hätte ihm wirklich helfen können«, meinte
Charlotte und sah mit vorwurfsvoller Miene zur Stalltür hin, wo der
groÃgewachsene, schlanke Will gerade wieder erschien, nachdem er das Pferdchen
in den Stall geführt hatte. Sinas Sohn trug zur hellbraunen Leinenhose ein
weiÃes Hemd, dessen weite Ãrmel vierfach plissiert waren â es war sein bestes
Kleidungsstück, und es zeigte, dass auch Will an seinem freien Tag etwas
Besonderes vorhatte.
»Will ist Zweiter Kellermeister, nicht der
private Stallbursche unseres Sohnes«, gab Ben unwillig zurück. »Das habe ich ihm
schon mehrmals gesagt.«
»Du bist zu streng mit dem Jungen.« Charlottes
Stimme klang vorwurfsvoll. »Er ist nun einmal temperamentvoll. Und noch ein
wenig ungeschliffen. Aber er ist klug, kann sehr liebenswert sein und ist
interessiert an allem, was es Neues gibt. Wenn ich dagegen â¦Â« Sie brach ab.
»Sprich es ruhig aus: Karl dagegen ist
bodenständig, ruhig und nur interessiert an unserem Weingut.« Ben atmete ein
paarmal tief durch, wie er es immer tat, wenn er mit Charlotte Streit hatte
wegen der Kinder, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. In der letzten
Zeit spürte Ben dann manchmal sein Herz. Es krampfte sich in der Brust zusammen,
die spitzen Stiche drohten ihm oft den Atem zu nehmen. Doch niemand ahnte etwas
davon, der Winzer war sich sicher, dass diese Beschwerden bald von allein
verschwinden würden. »Ich hoffe nur, dass sich Sebastians Interesse irgendwann
auch einmal den Dingen zuwendet, mit denen er seinen Lebensunterhalt verdienen
kann.« Und noch ehe Charlotte etwas einwenden konnte, fuhr er fort: »Aber nun
kein weiteres Wort mehr darüber. Wir wollen den schönen Tag nicht mit müÃigen
Streitereien verbringen. Gehen wir zur Kapelle?«
Charlotte nickte und lächelte versöhnlich. »Gern.
Ich pflücke noch schnell ein paar Rosen.« Schnell ging sie zur Hauswand, an der
sich einige gelbe und hellrote Kletterrosen emporrankten. Die schönsten Blüten
lieÃen sich auch ohne Messer leicht brechen.
Charlotte drehte die Blumen spielerisch in den
Händen, während sie an Bens Arm durch den Weinberg schlenderte. Der Boden war
jetzt, da auf der südlichen Halbkugel der Winter vorüber war, von Unkraut und
von Wildwuchs gesäubert. Die wilden Triebe waren abgeschnitten, die Rebstöcke
waren bereit für eine neue Lese.
Als sie die Kapelle erreicht und Charlotte die
Rosen auf den Gräbern ihrer Lieben abgelegt hatte, sah Ben sich um. »Unsere
Heimat«, sagte er leise, und wieder war dieses Leuchten in seinen
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