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Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)

Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)

Titel: Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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das Ticken der Wanduhr und das ferne Rauschen des Meeres waren zu hören.
    »Ich kann es beweisen«, fuhr Sterz fort. »Sehen Sie sich seine Füße an! Er hat auf dem linken Knöchel ein Schwein und auf dem rechten ein Huhn tätowiert! Eine alte Seemannstradition, die vor dem Ertrinken schützen soll.«
    »Baron de Wolff.« Berthold war es sichtlich unangenehm, seinen Gast derart attackiert zu sehen. Aber als stellvertretender Stationsleiter musste er ihm diese Frage stellen. »Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?«
    De Wolff lachte verächtlich auf. »Glauben Sie diesem Mann kein Wort! Ich bin Baron Ferdinand de Wolff.«
    Der Polizeimeister von Finschhafen, Wilhelm Piering, trat an seine Seite. »Nun, das können wir leicht feststellen. Baron, wenn Sie erlauben, würden Sie uns Ihre Knöchel zeigen?«
    »Ich denke ja nicht daran!« Plötzlich war der Degen in de Wolffs Hand. »Zurück! Zurück mit Ihnen allen!« Er fuchtelte mit der Waffe herum, richtete sie ziellos erst auf den einen, dann auf den anderen von Bertholds Gästen.
    Ein paar leise Schreckenslaute ertönten, die versammelten Gäste wichen zurück. De Wolff bemerkte nicht, dass sich ihm Sterz und Piering in einem weiten Kreis von hinten näherten. Als sie sich auf ihn stürzten, versuchte er, sich zur Wehr zu setzen und mit dem Degen zuzustoßen, fegte dabei aber nur eine hohe Porzellanvase von der Anrichte, die in tausend Stücke zersprang. Ein vielstimmiger, entsetzter Aufschrei erscholl. Im nächsten Moment hatten die Männer ihn zu Boden gerungen. Polizeimeister Piering nahm ihm die Waffe ab.
    »Schauen wir uns seine Knöchel an!«, bestimmte er.
    Drei Männer hielten de Wolff trotz seines Strampelns fest, während Sterz ihm das rechte Hosenbein bis zum Knie hochschob, den Strumpfhalter öffnete, den Strumpf hinunterstreifte und eine behaarte Wade entblößte. Wie Sterz gesagt hatte, war auf dem Knöchel die grob ausgeführte Tätowierung eines Huhns zu sehen.
    Henriette stieß einen leisen Schrei aus und schlug die Hände vor das Gesicht.
    »Wie, sagten Sie, heißt der Mann?«, wandte sich Piering, den Degen noch in der Hand, schwer atmend an Sterz.
    »Gründler. Wilhelm Gründler aus Österreich.«
    Polizeimeister Piering richtete sich auf. »Herr Gründler«, sagte er, »Sie sind festgenommen.«
    *
    » Uitgescheten kouwe drol!« Du ausgekackter kalter Misthaufen!
    Erst als es über Noahs Lippen kam, merkte er, dass es Holländisch war, was er da vor sich hin murmelte. Auch wenn sein verhasster Stiefvater schon lange tot war und nie etwas davon hören würde: Es tat gut, Maarten zu beschimpfen, seiner Wut und seiner Trauer auf diese Weise Ausdruck zu verleihen. Außerdem lenkte es ihn von seiner derzeitigen Lage ab.
    Diese kleine Zelle, in der man ihn jetzt schon seit zwei Tagen festhielt, war zwar auch kaum schlimmer als die enge Kabine an Bord der Herzogin Elisabeth . Aber inzwischen war er wieder gesund. Er war es gewohnt, durch die Wälder zu streifen und zu kommen und zu gehen, wann er wollte, und nicht, in einer Gefängniszelle auf seine Verhandlung zu warten.
    Er ballte die Fäuste und ließ sie wieder locker. Einmal damit angefangen, erinnerte er sich an immer mehr holländische Schimpfworte.
    »Je kop is net een blote kont!« Dein Kopf sieht aus wie ein nackter Hintern!
    »Rotzak!« Drecksack!
    »Smerige nageboorte!« Dreckige Nachgeburt!
    »Lelijke sjembek!« Hässliche Pferdefresse!
    »Klootzak!« Scheißkerl!
    Seine wütenden Beschimpfungen vermischten sich mit Bildern aus einer lange vergangenen Zeit. Bilder aus seiner Kindheit, von seiner Mutter, von den seltenen Momenten ungetrübten Glücks. Es war seltsam – fremd und doch beglückend –, sich endlich an sie erinnern zu können. Und gleichzeitig unglaublich traurig. Er hatte seine Mutter wiedergefunden – und im selben Moment verloren. Immer wieder sah er vor sich, wie Maarten ihren Kopf an den großen Baumstamm schlug, wie das Blut über ihr Gesicht lief und sie leblos wie eine Puppe zu Boden sank.
    Wie jedes Mal, wenn er an seine Mutter und ihren grauenhaften Tod dachte, ballte sich etwas in seinem Brustkorb zusammen, und er war wieder der kleine zehnjährige Junge von damals. Er wollte weinen und konnte es nicht. Bei den Towei, dem Stamm seines leiblichen Vaters, erinnerte er sich wieder, war es Brauch, dass man sich mit weißer Farbe einrieb und weinend und tanzend der Trauer hingab, um den Geist des Toten zu ehren.
    Noch etwas machte ihm zu schaffen: Das Grab war zwar

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