Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
ausgehoben worden, aber niemand hatte seine Mutter beerdigt. Vermutlich hatten sich Tiere über ihre Gebeine hergemacht und sie überall verstreut. Ob ihre Seele jetzt trotzdem ihren Frieden gefunden hatte? Wie gern hätte er mit Paul Lorenz darüber gesprochen. Aber der Missionsbruder hatte sich bislang noch nicht bei ihm blicken lassen. Wusste er denn nicht, dass Noah hier war? Paul hatte immer zu ihm gehalten, egal, was er angestellt hatte. Bis zu dem Mord an Konings. Wahrscheinlich hatte auch er sich längst von seinem Schützling abgewandt.
Die schwere Zellentür schien Noah höhnisch anzugrinsen, und die erzwungene Untätigkeit machte ihn fast rasend. In Finschhafen gab es zwei Gefängnisse; eines für die Europäer, eines für die Einheimischen. Ihn hatte man in das für Einheimische gebracht. Immerhin behandelte man ihn ordentlich. Zum Schlafen dienten ihm eine hölzerne Pritsche mit Moskitonetz und eine wollene Decke sowie ein Kopfkissen. Außerdem waren eine gefüllte Wasserflasche und ein Nachteimer vorhanden. In einem Nebenraum hatte er sich heute Morgen unter Aufsicht waschen dürfen, dann hatte man ihm neue, westliche Kleidung zur Verfügung gestellt. Später hatte es Tee und einen Kanten altbackenes Brot gegeben und am Mittag einen Teller Gemüse mit etwas Fleisch und Brot.
Auf der Gefängnisordnung, die auf einem eingerissenen, durch die Feuchtigkeit gewellten Blatt in der Zelle hing, konnte er lesen, wie er sich zu benehmen hatte. Lautes Sprechen war ihm verboten, aber das kümmerte ihn nicht. Schlimmer als jetzt konnte es ohnehin kaum kommen. Ebenso verboten waren Pfeifen, Singen, Lärmen oder Rauchen. Zuwiderhandlungen würden durch Entziehung der Schlafdecke oder Einschränkung der Verpflegung bestraft. Alles hatte hier seine gründliche deutsche Ordnung.
Und mit genau derselben deutschen Gründlichkeit würde man ihn demnächst vermutlich verurteilen und dann aufhängen oder erschießen. Das war auch nur unwesentlich besser, als in der Gargrube der Donowai zu enden.
Seine ganze Hoffnung ruhte jetzt auf zwei Frauen. Würde Isabel mit Henriette reden? Und würde diese für ihn aussagen? Aber nach Isabels Reaktion auf seine Affäre mit Henriette konnte er das vermutlich vergessen.
Henriette, die er Jetty nannte. Henriette klang so streng und passte nicht zu der ungestümen Leidenschaft, die sie entwickeln konnte, sobald sie alleine gewesen waren.
Daran konnte er sich erinnern. Und an so viele andere Dinge inzwischen auch. Wieso nur wusste er dann kaum mehr etwas von der Nacht, in der Konings umgebracht worden war?
Er schloss die Augen und versuchte, jene Stunden wiederaufleben zu lassen.
Er wusste noch, dass er Konings beschimpft hatte, sich eine Flasche Rum geschnappt und sich an den Strand außerhalb der Sichtweite der Tischgesellschaft zurückgezogen hatte, um sich zu betrinken. Kurz danach war Jetty bei ihm erschienen. Sie wolle noch einmal mit ihm reden, hatte sie gesagt, und ihn mit ins Haus der Brüder genommen, wo sie ihr Nachtquartier bezogen hatte. Dort hatte sie ihn genötigt, sich auf das Bett zu setzen, und ihn angefleht, sie nicht zu verlassen.
Sie nicht zu verlassen? Ja, jetzt erinnerte er sich wieder! Er hatte schon Tage vorher mit Jetty geredet und ihr erklärt, dass es aus sei zwischen ihnen. Sie hatte das allerdings nicht einsehen wollen.
Ihre Stimme nimmt einen weinerlichen Ton an. »Bitte, Noah, ich brauche dich!«
Sie kniet sich hinter ihn auf das Bett. Beginnt, an seinem Ohrläppchen zu knabbern, taucht dann ihre Zunge in sein Ohr.
Er zuckt zurück. »Hör auf!«
Sie schlingt ihre Arme um ihn. »So einfach lasse ich dich nicht gehen«, flüstert sie und schmiegt sich von hinten an ihn. Ihre Hand gleitet zwischen seine Beine. »Überleg es dir noch einmal.«
Der beginnende Rausch und Jettys Verführungskünste hatten ihn ein letztes Mal schwach werden lassen. Dabei wollte er sich doch nicht mehr von ihr gängeln lassen und ein für alle Mal die Sache beenden.
O ja, es hatte Spaß gemacht. Anfangs. Wenn Jettys sonst so kühle Fassade der Lust gewichen war. Wenn diese wunderschöne Frau die Beine um seine Hüften schlang und sich an ihn klammerte, während das schmale Bett aus Bambusrohr unter ihnen wackelte. Wenn sie ihm immer wieder ins Ohr flüsterte, was für ein wundervoller Liebhaber er sei.
Stets trafen sie sich in einer Pfahlhütte zwischen Finschhafen und Simbang, die zu einem verlassenen Eingeborenendorf gehört hatte. Nie bei ihr zu Hause, wo nicht nur
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