Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
Bambusleiter wieder hinunter und stieß fast mit dem hageren Missionsbruder zusammen.
»Sabiam hat mir gesagt, wo ich Sie finden kann«, erklärte er. »Ich konnte nicht glauben, was mir Doktor Weinland soeben erzählt hat: Baron de Wolff ein Betrüger! Ich hatte zwar von Anfang an ein ungutes Gefühl bei dem Mann, doch so etwas hätte ich nicht für möglich gehalten! Aber jetzt erscheint mir so einiges in neuem Licht.«
»Ja!«, stieß sie hervor und berichtete ihm aufgewühlt von dem getrockneten Blut auf den Bastmatten. Allerdings schien Bruder Lorenz darüber nicht sonderlich überrascht.
»Das ist mir auch schon aufgefallen«, sagte er. »Und ich habe diese Beobachtung kurz nach Ihrer … nach dieser ganzen Sache auch den zuständigen Stellen in Finschhafen mitgeteilt. Aber niemand hat sich dafür interessiert. Alle hielten Noah für den Mörder, der seine Schuld spätestens durch Ihre Entführung und seine Flucht eingestanden hatte.«
»Aber Sie glauben nicht, dass er … dass er es getan hat?«
Bruder Lorenz schüttelte den Kopf. »Nein«, gab er zurück. »Das kann ich einfach nicht glauben.«
»Ich auch nicht«, murmelte Isabel. »Ich auch nicht.«
Plötzlich, ohne Vorwarnung, schossen ihr Tränen in die Augen. Sie presste die Hand auf den Mund und begann zu schluchzen.
»Ach je, liebe Schwester Maritz, Sie sollten sich jetzt nicht auch noch damit belasten. Sie haben genug durchgemacht. Kommen Sie erst einmal wieder zur Ruhe.«
Bruder Lorenz legte seinen knochigen Arm um sie, und sie lehnte sich an ihn, froh über seine tröstliche Gegenwart.
Er tätschelte sie ungelenk. »›Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles und hält allem stand‹«, zitierte er leise aus dem ersten Brief an die Korinther.
Sie hörte auf zu weinen und sah ihn ertappt an, Blut schoss ihr ins Gesicht. »Wie kommen … Ich habe doch gar nicht …«, stammelte sie.
»Das müssen Sie auch nicht.« Er lächelte hinter seinem zerrupften Bart. »Möchten Sie mir erzählen, was Sie erlebt haben?«
Sie nickte, und ein kleines Lächeln stahl sich in ihre Mundwinkel. »Ja, Bruder Lorenz, das würde ich sehr gerne.«
*
Die Freude über Isabels Rückkehr war groß. Es war fast, als wäre sie nie fort gewesen, so schnell gewöhnte sie sich wieder an das Leben in Simbang. An die täglichen Messen, bei denen Isabel auf dem Harmonium spielte, an die vielen kleinen, aber notwendigen Arbeiten und an die mit Händen und Füßen geführten Unterhaltungen mit den Jabim-Frauen, allen voran Yerema. Doch wie ein schwarzer Schatten hing der Schrecken des Schwarzwasserfiebers über dem nahe gelegenen Finschhafen. Da Bruder Schwarz auf Tami weilte und Bruder Lorenz sich nach seiner Genesung weiterhin schonen musste, war es Bruder Laumer, der täglich mit dem Ochsenwagen nach Finschhafen fuhr, um dort Kranke zu besuchen und den Toten das letzte Geleit zu geben. Isabel half derweil Bruder Lorenz bei der Vorbereitung der heiligen Messe und beim Unterricht für die Knaben.
Die Lage in Finschhafen wurde immer dramatischer. Inzwischen waren schon acht deutsche Einwohner dem Fieber erlegen, weitere waren erkrankt.
»Das öffentliche Leben steht geradezu still«, erzählte Bruder Laumer beim Abendessen. Der sonst so vergnügt wirkende Mann war gedrückter Stimmung. »Der Betreiber der Speiseanstalt hat die Stadt bereits verlassen, und jetzt ist auch noch der Richter erkrankt. Unser guter Doktor Weinland arbeitet Tag und Nacht, aber auch er kann dieser Epidemie keinen Einhalt gebieten.« Er starrte ins Leere. »Heute erst musste ich Herrn Wissmann beerdigen.«
»Den Generaldirektor der Neuguinea-Kompagnie?« Isabel blieb der Bissen Süßkartoffel fast im Halse stecken. Noch vor wenigen Tagen hatte sie sich mit dem kleinen, kahlköpfigen Mann unterhalten.
Bruder Laumer nickte bedrückt. »Seine Gattin konnte nicht daran teilnehmen, weil sie selbst schwer erkrankt ist. Und als ich gerade den Segen sprechen wollte, ist Herr Ritzer, ein Berliner Kaufmann, fiebernd neben dem offenen Grab zusammengebrochen. – Aber keine Sorge, Schwester Maritz«, wandte er sich an sie, »Herrn von Faber geht es gut. Es war sehr verantwortungsvoll von Ihrem Verlobten, Sie nach Simbang bringen zu lassen. Hier tritt dieses schlimme Fieber viel seltener auf.«
Isabel wechselte einen schnellen Blick mit Bruder Lorenz. Nur mit ihm hatte sie über alles gesprochen. »Das … ist ein Irrtum«, presste sie schließlich heraus. »Ich bin nicht
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