Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
geht nicht. Sie können mich nicht so einfach … hinrichten lassen«, brachte er stockend hervor. »Ich bin noch nicht vor Gericht gestellt worden. Das ist gegen das Gesetz!«
»Tatsächlich?« Von Fabers Stimme triefte vor Selbstgerechtigkeit. »Auf einmal berufst du dich auf das Gesetz? Ausgerechnet du?«
Seiner Sicht beraubt und seltsam benommen, hörte Noah Füße über den staubigen Boden huschen und das leise Klingen von Metall. Seine Eingeweide zogen sich zusammen, Übelkeit stieg in ihm auf. Klebriger Schweiß sickerte seinen Rücken entlang. So sollte er also enden? Wie ein räudiger Hund hinter dem Gefängnis erschossen?
»Hast du noch etwas zu sagen?«, hörte er dann von Fabers Stimme.
Noah grub die Nägel in die Handflächen, seine hinter dem Rücken gefesselten Hände waren feucht. »Wo ist Isabel?«
»Für dich immer noch Fräulein Maritz!«, gab von Faber erbost zurück. »Und glaub nicht, dass du mit ihr reden könntest. Sie ist in Simbang.«
»Dann sagen Sie ihr, dass –«
»Ich werde ihr überhaupt nichts von dir sagen!«, unterbrach von Faber ihn rüde. »Gewehre anlegen!«
Noah erstarrte. In seinen Ohren rauschte es plötzlich so laut, dass er nicht einmal hörte, wie die Polizeisoldaten ihre Waffen auf ihn richteten. Nur seinen eigenen, rasenden Herzschlag, der in seinem Kopf widerhallte. Mit angehaltenem Atem, jeden Muskel seines Körpers angespannt, wartete er auf den nächsten Befehl, der sein Leben auslöschen würde.
Der nicht kam.
Die Zeit dehnte sich, wurde zähflüssig wie Sirup, die Luft schien zu vibrieren. Dann hörte er von Faber lachen. »Ich muss sagen, es verschafft mir eine gewisse Befriedigung, dich so zu sehen. Aber jetzt reicht es.«
Die Binde wurde ihm abgenommen. Er taumelte leicht, als er die feixenden Soldaten sah, die ihre Gewehre noch immer an der Seite trugen.
»Wie fühlt sich das an, wenn man selbst einmal hereingelegt wird?«, fragte von Faber.
Nur langsam verschwand seine Benommenheit. »Ich werde nicht erschossen?«
»Nein, du kommst nach Stephansort ins Gefängnis.« Von Faber räusperte sich. »Der Mordvorwurf gegen dich wurde fallen gelassen. Zu meinem großen Bedauern hat sich jemand anderes als Mörder von Bent Konings entpuppt.«
*
»Nehmen Sie auch regelmäßig Chinin, Fräulein Maritz?«, fragte Dr. Weinland.
Isabel bejahte. Heute Morgen hatte sie erneut ein Gramm von dem Malariamittel genommen, und jetzt war ihr noch immer leicht übel und schwindelig, und ihre Ohren klangen. Obwohl der Einspänner auf dem Dschungelpfad nur langsam vorankam, hatte sie den Eindruck, auf einem schwankenden Schiff zu sitzen, und sie war froh, als sie endlich Finschhafen erreichten.
Die kleine Stadt war von fiebriger Aufbruchsstimmung erfüllt. In den ungepflasterten, von dunkler schlammiger Erde bedeckten Straßen sahen sie einheimische Dienstboten, die für ihre weißen Herren Gepäck schleppten und Kutschen mit Koffern und Taschen beluden. Einige waren bereits auf dem Weg zum Hafen.
An einer Kreuzung hielt Dr. Weinland an. »Kann ich Sie wirklich alleine lassen?«
Isabel versicherte ihm, dass er das durchaus könne, und reichte ihm die Hand, als sie abgestiegen war.
»Vielen Dank, Doktor.«
Er lächelte zerstreut, mit seinen Gedanken offenbar schon wieder bei seinen Patienten und der Evakuierung des Hospitals.
»Herrn von Fabers Haus liegt dort hinten«, sagte er noch und deutete eine Straße hinunter, dann verabschiedete er sich von ihr und fuhr eilig weiter zum Hospital.
Zögernd schlug sie den Weg ein, den er ihr gewiesen hatte. Oder sollte sie lieber zum Gefängnis gehen? War Noah noch dort? Hatte er sich womöglich auch dieses schreckliche Fieber zugezogen? Der Doktor hatte zwar gesagt, die Einheimischen erkrankten selten daran, aber Noah war immerhin zur Hälfte Deutscher.
Nach dem morgendlichen Regen waren die Straßen matschig und voller Pfützen, aber das kümmerte Isabel nicht. Sie hob ihren langen Rock und eilte die von Bananenpalmen gesäumte Straße voran, so schnell es ihr schwaches Bein erlaubte.
Kurz bevor sie Bertholds Haus erreicht hatte, sah sie ein paar Einheimische, die eine aus Brettern zusammengenagelte Hütte mit Wellblechdach auseinandernahmen und auf einem Ochsenwagen verstauten. Zögernd blieb sie stehen. Ob sie die Männer nach dem Weg zum Gefängnis fragen sollte? Sie legte sich gerade die passenden Worte in Tok Pisin zurecht, als sie einen kleinen Trupp dunkelhäutiger Polizeisoldaten erblickte, der in ihre Richtung
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