Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
im Vorratsschuppen eingeschlossen.
Durch die Ritzen und ein paar kreisrunde Astlöcher in den Bretterwänden kam etwas Licht herein. Auf dem Plankenboden neben ihm standen eine Kalebasse mit Wasser, drei frisch geöffnete grüne Kokosnüsse, die er bereits durstig geleert hatte, und, unter dem untersten Regalbrett, ein Nachttopf. Wie es aussah, sollte er eine Weile hier drinnen bleiben.
Eine einzelne Fliege hatte den Weg in die Pfahlhütte gefunden und summte nun nervtötend um ihn herum. Allmählich fühlte er sich ein wenig besser. Zumindest ließen die hämmernden Kopfschmerzen langsam nach, und auch sein aufgewühlter Magen beruhigte sich. Kokoswasser war schließlich ein erprobtes Heilmittel gegen die scheußlichen Nachwehen des Rausches.
Was war überhaupt passiert? Sein Brummschädel machte es ihm schwer, die einzelnen Fakten zu einem logischen Ganzen zusammenzubringen. Als man ihn vorhin in der Kirche unsanft aus dem Schlaf gerissen hatte – mit grässlichem Durst und dem schlimmsten Kater seines Lebens –, hatte er kaum verstanden, was ihm die Männer vorwarfen. Angeblich habe er einen der beiden Pflanzer ermordet, diesen Holländer namens Konings. Er hatte nur geknurrt, sie sollten ihn in Ruhe lassen, aber da hatte man ihm auch schon Handschellen angelegt und ihn hierher verfrachtet.
»Bitte, Noah, es ist zu deinem eigenen Schutz«, hatte Paul Lorenz gesagt, als sie ihn eingesperrt hatten. »Es wird sich alles aufklären.«
Na sicher doch! Wenn es ihm nicht so hundeelend gegangen wäre, hätte Noah darüber gelacht. Bislang zumindest hatte er nicht die geringste Ahnung, was in der vergangenen Nacht passiert war. Er wusste nicht einmal, warum er so viel getrunken hatte oder wie er in die Kirche gekommen war. Er erinnerte sich noch an den plötzlichen, bodenlosen Hass, den er auf Konings verspürt hatte, und ihren kurzen Wortwechsel, an seinen zornerfüllten Rückzug mit einer Flasche Rum und daran, dass er zu trinken begonnen hatte. Aber danach klaffte eine riesengroße Lücke. Fast genauso groß und dunkel wie die ersten zehn Jahre seines Lebens.
Ein erstickter Schrei, ein zuckender, hilfloser Körper. Und Blut, überall Blut. Auf dem Boden und dem dunklen Grün der Blätter.
Ihm war schon wieder entsetzlich übel, kalter Schweiß drang ihm aus allen Poren. Hatte er ihn wirklich getötet? Die Wände kamen plötzlich näher, drohten ihn zu zerquetschen. Zentnerschwer legte es sich um seine Brust, ließ ihn nicht mehr atmen.
Er bekam keine Luft mehr. Er. Bekam. Keine. Luft.
Er musste hier raus, er hielt es hier drinnen nicht mehr aus! Panisch zerrte er an den Handfesseln und dem Seil, dessen Knoten sich dadurch knarrend weiter zuzog, drehte sich um, stemmte sich mit den nackten Füßen gegen den Pfosten und öffnete schon den Mund, um nach Hilfe zu rufen.
Dann hielt er keuchend inne.
Nein, er darf IHN nicht wütend machen! Wenn ER wütend ist, dann geschieht immer etwas Schlimmes. Er muss sich klein machen und ganz still verhalten, was immer auch geschieht. Wenn er sich nicht rührt, wird ihm vielleicht nichts geschehen.
Aber er hat solche Angst … Bitte, bitte, lass IHN nicht wütend sein!
»Wo ist de bastaard ? Ich werde ihm an die Hunden verfüttern!«
»Nein!« Die Stimme einer Frau, voller Angst. »Lass ihn in Ruhe!«
» Du laufst niet noch mal weg, bastaard!«
Der Fausthieb lässt seinen Kopf zur Seite fliegen, und er hat einen metallischen Geschmack in seinem Mund.
»Und jetzt weg mit die Hose!«
Alles in ihm zieht sich zusammen, ein saurer Geschmack steigt in ihm auf, aber er gehorcht. Das Geräusch eines Gürtels, der aus seinen Schlaufen gezogen wird. Dann der erste Schlag, brennend wie flüssiges Feuer.
Noah krümmte sich und hob die gefesselten Hände an seinen Kopf, presste die Augenlider zusammen und bohrte alle zehn Finger in Schläfen und Stirn.
»Geh weg! Geh! Weg!«
So plötzlich, wie diese Schreckensbilder aufgetaucht waren, verschwanden sie auch wieder. Blinzelnd öffnete er die Augen, sah den gefächerten Lichtstrahl durch die Bretter scheinen, fühlte, wie sich sein rasender Herzschlag, sein jagender Atem allmählich wieder beruhigte.
Was um alles in der Welt war das gerade gewesen? Ein Alptraum in wachem Zustand? Oder fing er schon an zu halluzinieren? Nie wieder würde er so viel trinken.
Er nahm ein paar tiefe, zittrige Atemzüge. Die Luft hier drinnen war abgestanden und brühwarm, aber sie ließ sich atmen. Kein Grund, in Panik zu verfallen.
Als sich seine
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