Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
Gewehr gibt es sicher eine Erklärung.«
»Ich habe ihn doch gesehen! Ich habe gesehen, wie er in der Nacht in die Hütte kam.«
»Er kam in die Hütte?«, fragte Berthold alarmiert. »Sprechen Sie weiter, Baron.«
Der Baron nickte. »Ich bin noch einmal aufgewacht, vermutlich, weil Bent aufgestanden war und die Leiter hinabkletterte. Und als ich fast schon wieder eingeschlafen war, sah ich diesen Kanakermischling, wie er lautlos in die Hütte schlich und sein Gewehr an sich nahm. Oh, hätte ich nur Verdacht geschöpft! Aber ich war so müde, und ich konnte doch nicht ahnen, was er vorhatte! Und während ich friedlich weiterschlummerte, hat dieser … dieser Kannibale ihn hier hinterrücks …« Seine Stimme brach, doch er fing sich schnell wieder. »Wo ist er?«
Er blickte in die Runde, aber niemand hatte Noah gesehen.
»Halt, hiergeblieben, Freundchen!« Berthold stapfte auf die Gruppe von Kostschülern zu und packte Sabiam am Arm. »Dieser Junge wollte gerade verschwinden. Sprich, du weißt doch etwas!«
Sabiam schüttelte hastig den Kopf, der große weiße Mann schüchterte ihn sichtlich ein.
»Sag schon, Junge, wo ist Noah? Westap Noah?«
»Heraus mit der Sprache, Sabiam«, mischte sich nun auch Bruder Schwarz ein, »oder du bekommst ein paar Schläge mit dem Rohrstock! Wo steckt Noah?«
Sabiams dunkle Augen weiteten sich entsetzt. »Haus … haus lotu« , rückte er schließlich heraus. Vor Schreck schien er alle deutschen Worte vergessen zu haben.
»In der Kirche?«, vergewisserte sich Berthold, und Sabiam nickte ängstlich.
»Na, das nenne ich doch ausgesprochen passend«, sagte der Baron. »Den reuigen Mörder zieht es ins Haus Gottes.«
Isabel wechselte einen raschen Blick mit Bruder Lorenz, der ganz blass geworden war.
Berthold nickte entschlossen. »Dann lassen Sie ihn uns schnellstens dingfest machen, bevor er entkommen kann. Pater Lorenz, haben Sie irgendetwas hier, um ihn am Fortlaufen zu hindern? Vielleicht sogar eine Möglichkeit, wo man ihn einsperren könnte, bis die Männer von der Schutztruppe ihn abholen?«
»Die Mission hat ein Paar Handschellen«, kam die Antwort von Bruder Schwarz. Er atmete schwer, sein Gesicht war schweißüberströmt. »Bisher haben wir sie nur einmal gebraucht, um einen notorischen Dieb unter den Jabim zur Abschreckung für ein paar Stunden festzusetzen. Und der Vorratsschuppen ist abschließbar.«
»Maximilian, du gehörst ins Bett!« Bruder Lorenz schüttelte besorgt den Kopf, dann wandte er sich an Berthold. »Herr von Faber – ist es wirklich nötig, dass wir Noah einsperren?«
Berthold sah ihn an, als zweifele er am Verstand des Missionars. »Er hat allem Anschein nach einen Mord begangen. Solange diese Vorwürfe nicht geklärt sind, muss er arretiert werden. Auch Sie werden einsehen, Pater, dass ich einen Mordverdächtigen nicht frei herumlaufen lassen kann.« Er nickte seiner Schwester zu. »Henriette, du bleibst bitte mit Fräulein Maritz hier. Der Mann ist schließlich gefährlich. – Baron, was tun Sie da?«
Baron de Wolff hatte das Gewehr aufgehoben. »Ich nehme die Tatwaffe mit. Sie wollen sie doch sicher dem Gericht in Finschhafen als Beweis vorlegen.«
»Ja, natürlich, Baron.« Für einen Moment schien Berthold verlegen, dann richtete er sich zu seiner vollen Größe auf. »Meine Herren, kommen Sie, rasch!«
»Entsetzlich«, murmelte Henriette, während die Männer sich eilig entfernten. »Was hat der arme Herr Konings ihm nur getan, um so sterben zu müssen?«
*
Es fühlte sich an, als säßen zu beiden Seiten seines Kopfes zwei Männlein, von denen jedes mit einem schweren Hammer auf seinen Schädel einschlug. Ohne Regelmäßigkeit oder festes Muster, nur um der Freude am Schmerz willen. Noahs Magen war ein einziger fester Knoten, und der bloße Anblick der wenigen Konservendosen auf dem gegenüberliegenden obersten Regalbrett verstärkte die Übelkeit noch. Alles tat ihm weh. Buchstäblich alles, von den Haarwurzeln bis zu den Zehen. Er konnte sich selbst riechen, eine Mischung aus Schweiß und Alkohol. Wieso hatte er sich gestern Nacht nur so entsetzlich betrunken?
Er schloss die Augen, aber sofort begann sich der Raum um ihn zu drehen. Also öffnete er sie wieder, fixierte einen Punkt vor sich und versuchte, sich so wenig wie möglich zu bewegen. Viel Spielraum hatte er ohnehin nicht. Man hatte ihm die Hände vor dem Körper mit einem Paar rostiger Handschellen gefesselt, ihn mit einem langen Seil an einen Pfosten gebunden und
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