Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
verkrampften Muskeln langsam entspannten, spürte er das Muschelband um seinen linken Oberarm. Niemand hatte den kleinen Dolch aus Kasuarknochen entdeckt, den er dort unter dem Hemdärmel trug. Ob er sich damit befreien konnte? Er begann mit ein paar Verrenkungen, um an die Klinge zu kommen, bis er ernüchtert die Hände wieder sinken ließ: Er musste es gar nicht erst versuchen. Mit dem Messer mochte er zwar das Seil durchschneiden können, das ihn an das Regalbrett fesselte, aber damit hätte er nichts gewonnen, außer dass sie wissen würden, dass er ein Messer besaß. Denn selbst wenn er drei Tage daran herumsäbelte – die Handschellen bekäme er damit nicht auf. Er konnte nur hier sitzen und warten, bis ein paar einheimische Polizeisoldaten erschienen und ihn in ihren Gewahrsam nahmen. Wenn sie ihn nicht gleich aufhängten.
Es sah nicht gut für ihn aus. Die Beweise sprachen offenbar gegen ihn, und ein Mischling zählte nicht viel. Er steckte bis zum Hals im Dreck.
War er wirklich ein Mörder? Hatte er Konings tatsächlich umgebracht – mit seinem Gewehr erschlagen, wie sie sagten?
Er konnte sich zwar nicht erinnern, den Pflanzer getötet zu haben. Aber er konnte sich genauso wenig daran erinnern, es nicht getan zu haben.
*
Isabel blickte über das Meer in die gleißende Ferne, bis ihre Augen tränten. Ihre Finger legten sich um Conrads silbrige Streichholzdose, die sie seit dem heutigen Morgen wie einen Talisman in ihrer Rocktasche bei sich trug. Es gab ihr das Gefühl, sich an irgendetwas festhalten zu können. Dann wandte sie sich um. »Hat er es zugegeben?«
Sie war noch immer in höchstem Maße verstört. Nicht nur über den Mord an sich, auch über die Tatsache, dass es Noah gewesen sein sollte. Hatte sie sich so in ihm getäuscht? Sicher, er nahm es mit der Wahrheit nicht so genau und hatte sich offenbar grundlos mit Herrn Konings angelegt. Aber – ein Mord? Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Wieso hatte er am Vorabend bloß so gereizt auf den Holländer reagiert? Kannten die beiden einander womöglich? Hatte Herr Konings ihm irgendwann einmal etwas getan? Aber machte das Noah gleich zum Mörder?
»Zugegeben?« Berthold schüttelte den Kopf. »Nein, dazu war er gar nicht in der Lage. Wir hatten schon Mühe, ihn überhaupt aufzuwecken.« Er bot ihr den Arm. »Aber nun kommen Sie, Isabel, lassen Sie uns nicht an dem Ort verweilen, wo diese schrecklichen Dinge passiert sind.«
Bruder Lorenz war mit den Gästen und Herrn Konings’ Leiche, die sie in eine Decke gehüllt auf den Ochsenkarren der Station geladen hatten, auf dem Weg nach Finschhafen, um das Verbrechen anzuzeigen und den Toten dem zuständigen Kolonialbeamten zu übergeben. Nur Berthold war in Simbang bei Isabel und Bruder Schwarz, den jetzt endgültig ein heftiger Malariaanfall niedergestreckt hatte, geblieben. Mit dem Versprechen, jedem von ihnen ein Messer zu schenken, hatte Berthold einige Kostschüler dazu gebracht, die Vorratshütte, in der Noah festgehalten wurde, zu bewachen. So lange, bis eine Abteilung bewaffneter Polizeisoldaten aus Finschhafen eintraf, um Noah mitzunehmen.
Isabel hatte es erneut an den Strand gezogen. Wo die Leiche von Herrn Konings gelegen hatte, war bis auf ein paar blutige Spritzer im Sand und viele Fußabdrücke nichts mehr zu sehen.
»Ich glaube nicht, dass der Mord hier passiert ist«, sagte Isabel nachdenklich, ohne auf Bertholds Aufforderung einzugehen.
»Nein? Wie kommen Sie darauf?«
Sie wies auf den zertrampelten Sand. »Wenn Herr Konings hier erschlagen worden wäre, hätte es mehr Blut geben müssen. Und dort hinten«, sie deutete landeinwärts, »sieht es aus, als wäre ein Körper durch das Gebüsch geschleift worden. Der Mörder hat ihn dort irgendwo getötet und dann bis hierher gezogen.«
Berthold nickte gönnerhaft. »Das ist sehr klug beobachtet, liebste Isabel. Aber das beweist lediglich, dass Herr Konings nicht am Strand erschlagen wurde.«
»Ich will damit nur sagen, dass nicht immer alles so sein muss, wie es auf den ersten Blick scheint.«
»Vergessen Sie nicht, dass es Noahs Gewehr war. Und denken Sie nur an die unflätige Beschimpfung, mit der er den armen Herrn Konings gestern Abend bedacht hat.«
»Aber wieso? Welchen Grund könnte er gehabt haben, Herrn Konings zu töten? Und wieso sollte er so dumm sein, die Tatwaffe fast neben der Leiche liegen zu lassen?«
Berthold stellte einen überlegenen Gesichtsausdruck zur Schau. »Wer weiß schon, was in so einem Menschen
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