Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
Überwindung hatte auch Isabel gierig an den Pflanzenschäften gesaugt. Es schmeckte, als würde sie an einem nassen Waschlappen lutschen, aber es stillte den Durst.
Ihre anfängliche Furcht war der Erschöpfung gewichen – Noah wollte sie offenbar wirklich nicht umbringen. Nun ja, höchstens durch endloses Marschieren in diesem Urwald, dachte sie säuerlich. Für eine Flucht fehlte ihr inzwischen jede Energie. Außerdem wäre es ohnehin nicht gegangen. Noah hatte ihr eine bastähnliche Pflanzenschnur um die Taille geknotet und das andere Ende um sein linkes Handgelenk geschlungen, so dass sie jetzt durch einen ungefähr zwei Meter langen Strick verbunden waren. Jedes Mal, wenn sie langsamer wurde oder gar stehen blieb, spannte er sich. Die Schnur aus Pflanzenfasern war zwar dünn, aber extrem reißfest, und Noah hatte die Knoten fest zusammengezogen; sooft Isabel in den vergangenen Stunden auch daran herumgezupft und gezerrt hatte – ohne ein Messer würde sie sich nicht befreien können.
Von Zeit zu Zeit glitt ihre Hand unauffällig in ihre Rocktasche, wo sich ihre Finger um Conrads silberne Streichholzdose schlossen. Sie hatte ganz vergessen, dass sie die Dose heute Mittag eingesteckt hatte – wie lange das schon zurückzuliegen schien! Jetzt gab es ihr ein wenig Kraft und Sicherheit.
Sie würde bald wieder zurück in Simbang sein, hatte Noah gesagt. Aber er hatte sie schon so oft angelogen – sie war nicht noch einmal dumm genug, ihm zu glauben. Stattdessen richtete sie all ihre Hoffnungen auf den morgigen Tag. Morgen würde Berthold einen bewaffneten Suchtrupp zusammengestellt haben, der ihnen in die Wildnis folgte und sie, Isabel, aus den Fängen ihres Entführers befreite. Morgen würde dieser Alptraum ein Ende haben.
Sie musste nur noch diese Nacht überstehen.
*
Das Licht, das durch die Baumkronen auf die kleine Lichtung fiel, wirkte gedämpft, und auch die drückende Hitze und die Schwüle hatten endlich nachgelassen. Isabel war dermaßen müde und erschöpft, dass sie es klaglos hinnahm, als Noah sie am Stamm einer Palme niedersitzen ließ, sie dort mit der Bastschnur festband und dann im Dickicht verschwand. Alles tat ihr weh, sie würde keinen Schritt mehr laufen können. Irgendwo hörte sie das leise Gluckern eines Bachs.
Sie musste für eine Weile eingenickt sein, denn als sie die Augen wieder öffnete, hatte Noah etliche Äste und Farnwedel zusammengetragen und war dabei, den Stamm eines jungen Bambus nach unten zu biegen. Das lange Laufen hatte Isabel abgelenkt, aber jetzt wurde ihr schlagartig wieder bewusst, in welcher Lage sie sich befand. Ihre Müdigkeit war verflogen.
»Was tun Sie da?« Ihre Stimme klang nach dem langen Schweigen plötzlich überlaut, aber sie musste einfach irgendetwas sagen.
»Das wird unser Nachtlager.«
Mit Hilfe einiger Pflanzenfasern band er die Spitze des schlanken Stammes an einer dicken Wurzel fest und errichtete darüber aus Zweigen und Farnwedeln eine Art niedriges Zelt. Dann polsterte er das Innere mit weiteren Wedeln aus. Isabel seufzte erleichtert. Die Vorstellung, die müden Glieder bald ausstrecken zu können, war verlockend. Selbst unter diesen Umständen.
»Bald gibt es auch etwas zu essen«, sagte er, während er ein paar Hölzer und Pflanzen zusammensammelte.
Er schichtete etwas Moos und Gras auf, legte einen dicken Ast darauf und schlang eine lange Pflanzenfaser um das Holz. Mit den nackten Zehen hielt er den Ast fest und begann, die Schnur schnell hin und her zu ziehen, als wollte er das Holz durchsägen. Ein paar vereinzelte Funken leuchteten auf, aber es war zu wenig, um das Moos zu entzünden.
»Ich bin nicht besonders gut darin«, bekannte er, als er nach einigen vergeblichen Versuchen, ein Feuer zu entfachen, schwer atmend eine Pause einlegte. »Und das Holz ist zu feucht.«
Isabel gab sich ungerührt. In ihrer Rocktasche umklammerten ihre Finger Conrads Dose wie einen Talisman. Schweigend sah sie Noah dabei zu, wie er sich weiter abmühte. Sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als ihm zu verraten, dass sie Streichhölzer dabeihatte.
Als schließlich ein kümmerliches Feuer brannte, legte er einige kleine, erdverkrustete Wurzelknollen hinein, die er vermutlich ausgegraben hatte, als sie kurz eingenickt war. Angewidert sah sie zu, wie er dann ein paar fette weiße Maden auf einen Zweig spießte und über das Feuer hielt.
»Man kann sie auch roh essen, aber so schmecken sie besser«, erklärte er.
Der Geruch der gebratenen Maden
Weitere Kostenlose Bücher