Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
gewesen. Es war die Sprache! Das Holländische, das bei Noah offenbar irgendetwas ausgelöst hatte. Ja, so musste es sein! Wieso sonst sollte er leugnen, die Sprache zu beherrschen?
Auch Noah war stehen geblieben, sein Blick war ungeduldig. Sie beeilte sich, zu ihm aufzuschließen, dann hing sie wieder ihren Gedanken nach.
Womöglich war sein Vater Holländer. Ein weißer Siedler, der sich in diesem Land eine eingeborene Frau genommen hatte.
Heute Nacht im Schlaf hatte Noah geklungen, als habe sein jüngeres Ich sich vor irgendetwas schrecklich gefürchtet. Oder vor jemandem.
Konnte das sein Vater gewesen sein? Hatte Noah deswegen so gereizt auf den holländischen Pflanzer reagiert? Womöglich hatte Konings’ Akzent bei ihm irgendeine verschüttete Erinnerung aufgewühlt.
Was den Mordvorwurf leider nicht entkräftete. Im Gegenteil.
Erneut tauchten die Gedanken auf, die sie schon so oft gewälzt hatte. War Noah wirklich eines Mordes fähig? Konnte er Herrn Konings umgebracht haben? Und erinnerte er sich tatsächlich an nichts mehr, was in dieser Nacht vorgefallen war?
Es konnte jeder gewesen sein. Jeder, der an diesem Tag in Simbang gewesen war, angefangen von den Jabim bis hin zu den Gästen. Aber wer könnte einen Grund haben, Konings etwas Böses zu wollen?
Sie kam einfach nicht weiter mit ihren Überlegungen. Wie gern hätte sie jetzt mit Bruder Lorenz über all diese Sachen gesprochen. Er hätte möglicherweise ein wenig Licht in dieses Dunkel bringen können, oder zumindest ihre Überlegungen geteilt. Doch so musste sie allein damit zurechtkommen.
Abermals kehrten ihre Gedanken zurück zu Noahs möglicher Vergangenheit. So vieles war noch nicht schlüssig. Nichts erklärte, wieso Noah Deutsch sprach. Womöglich war er im deutschen Teil des Landes aufgewachsen? Nein, das konnte nicht sein – Kaiser-Wilhelms-Land war erst seit gut fünf Jahren unter deutscher Herrschaft. Dann vielleicht bei deutschsprachigen Siedlern? Aber wieso sprach er dann – zumindest im Schlaf – Holländisch? Wie sie es auch drehte und wendete, sie kam der Lösung des Rätsels nicht näher. Und je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr Fragen tauchten auf.
Was war damals passiert? Wovor hatte Noah als Kind so schreckliche Angst gehabt? Wieso hatte er sein Gedächtnis verloren? Woher stammte er?
Wat hebt u met mama gedaan?
Konnte das bedeuten, dass seiner Mutter etwas zugestoßen war? Und wer war daran schuld?
*
Der schmale Flusslauf glitzerte in der Sonne und verlor sich im üppigen Grün. Isabel hockte sich ans matschige Ufer zwischen die Büsche, tauchte eine Hand ins lauwarme Wasser, in dem zarte braune Schlieren trieben, und fuhr sich damit über das erhitzte Gesicht.
Noah sah ihr zu. »Was soll das werden?«
»Ich wasche mich«, sagte sie hoheitsvoll.
»Das nennen Sie waschen? Sie müssen ganz hineingehen. Es wird höchste Zeit, Sie riechen schon!«
»Eine Dame riecht nicht!«
Noah blieb ungerührt. »Sie tun es aber.« Er deutete auf ihre Bluse. »Und ihre Kleider fangen bereits an zu schimmeln.«
»Meine … Machen Sie sich nicht lächerlich!« Als sie seinem Blick folgte, entdeckte sie auf dem hellen Stoff ihrer durchgeschwitzten, fleckigen Bluse einen weichen weißen Flaum. Wie ein feiner Pelz. Einfach widerlich. Also gut, sie würde sich und auch ihre Kleidung wohl wirklich gründlich waschen müssen.
Angewidert stand sie auf, ihre Hände verharrten an ihrer Knopfleiste. »Drehen Sie sich wenigstens um!«
Stattdessen legte er den Speer ins Gras.
»Was haben Sie vor?«, fragte sie beunruhigt.
»Fische fangen«, erwiderte er. »Aber vorher helfe ich Ihnen.«
»Helfen? Ich wüsste nicht – lassen Sie das!«
Ohne auf ihre Gegenwehr zu achten, hob er sie hoch und marschierte mit ihr ins Wasser. Als er die Mitte des niedrigen Gewässers erreicht hatte, ließ er sie fallen. Isabel tauchte unter und kam prustend und spuckend wieder nach oben.
» Das nenne ich waschen«, sagte er lachend.
»Ich finde das überhaupt nicht lustig!« Sie war klitschnass und fühlte sich gedemütigt, die Haare hingen ihr ins Gesicht, die nassen Kleider klebten am Körper. »Sie … Sie Mistkerl!«
»Sie sehen bezaubernd aus, wenn Sie wütend sind.«
Vor Empörung blieb ihr die Luft weg. Was erlaubte er sich?
»Gehen Sie«, fuhr sie ihn an. »Lassen Sie mich allein!«
»Ich werde Ihnen schon nicht zuschauen.« Er deutete ein paar Meter flussabwärts, wo das Gewässer eine enge Schleife machte und sich ein großer, grün
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