Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
überwucherter Felsen mit einer Einbuchtung an seiner Oberseite erhob. »Sehen Sie den Felsen? Dahinter werde ich sein, und Sie können sich hier waschen.«
Er watete ans Ufer zurück, nahm den Speer an sich und verschwand dann damit tatsächlich hinter dem Felsen.
Die nassen Kleider klebten wie eine zweite Haut an ihr. Sie kämpfte sich bis zum Felsen vor, der mit Flechten und Schlingpflanzen bewachsen war. Hier war es weniger schlammig, und das Wasser reichte ihr noch nicht einmal bis zur Hüfte. Sie griff in ihre Rocktasche und holte Conrads silberne Streichholzdose heraus. Sie schüttelte die Dose; es rasselte, nichts schwappte. Offenbar war bei dem kurzen Untertauchen kein Wasser eingedrungen. Sie legte das Döschen auf den Felsen.
Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Noah sie wirklich nicht sehen konnte, öffnete sie ihre Bluse, schälte sich aus dem nassen Stoff und stieg mit etwas Mühe aus ihrem Rock, so dass sie jetzt nur noch Schuhe und Unterkleidung trug. Einmal, zweimal, dreimal tauchte sie bis zum Hals unter und rieb sich mit den Händen Schweiß und Schmutz von der Haut. Was hätte sie jetzt für ein Stück Seife gegeben! Aber nun musste es eben ohne gehen. Sie löste ihren halbgeöffneten Zopf und wusch sich die Haare. Es fühlte sich herrlich an, beinahe unbekleidet im Wasser zu sein und sich endlich wieder säubern zu können. Als sie auch Rock und Bluse ausgewaschen hatte, wrang sie sie aus und hängte sie über ein paar der festen Ranken an dem Felsen.
Sie lauschte. War Noah noch da? Sie konnte ihn nicht mehr hören; weder Plätschern noch Wasserspritzen drang von der anderen Seite zu ihr. Angst schoss kalt durch ihre Adern. Hatte er sie etwa allein gelassen? Sie wollte nicht rufen, um sich nicht lächerlich zu machen, aber nachsehen konnte sie ja.
Lange Schlingpflanzen hingen vom Felsen bis ins Wasser. Sie hielt sich daran fest und stieg auf eine der verholzten Ranken, die das Gestein wie ein umlaufendes Geländer bedeckten, um durch die Einbuchtung an der Oberseite des Felsens den weiteren Flusslauf einsehen zu können. Sie atmete erleichtert auf, als sie Noah dort entdeckte. Schnell wollte sie die Augen abwenden und sich wieder zurückziehen, aber dann musste sie doch hinschauen.
Er stand im Wasser, das ihm bis zum Oberschenkel reichte, vollkommen nackt. Wie eine griechische Statue aus heller Bronze wirkte er, regungslos, den erhobenen Speer in der Hand, den Blick auf das Wasser gerichtet. Tröpfchen glitzerten in seinen verfilzten Haarsträhnen und auf seiner Haut. Isabel war gleichermaßen verstört wie beeindruckt. Ihr Fuß glitt von der Ranke ab, gerade noch rechtzeitig konnte sie sich festhalten und wieder festen Stand finden. Reflexartig entfuhr ihr ein Ausruf des Schreckens.
Noah ließ den Speer sinken und hob den Kopf. »Isabel?«, rief er. »Ist alles in Ordnung?«
Rasch ließ sie sich vom Felsen gleiten. »Ja!«, gab sie gedämpft zurück – er musste schließlich nicht wissen, wie nah sie war. »Ja, es … geht mir gut!« Ihr Gesicht brannte. Hatte er sie etwa gesehen?
Mit klopfendem Herzen wartete sie ein paar Sekunden, dann raffte sie ihre feuchten Kleider zusammen und watete ans Ufer, ohne sich noch einmal umzudrehen.
*
Wie lange waren sie jetzt schon unterwegs? Drei Tage? Vier Tage? Isabel kam es vor wie Wochen. Allmählich erschien ihr die Vorstellung, irgendwann wieder nach Simbang zurückzukehren, gar nicht mehr so verlockend. Ein seltsamer Gedanke, wie ihr kopfschüttelnd auffiel. War das nicht stets ihr Halt in dieser unwirklichen Situation gewesen?
Ihre Kleider waren schnell wieder getrocknet, nur ihre Schuhe waren noch leicht feucht. Es ging wieder bergan, fast unmerklich wandelte sich die Pflanzenwelt. Je höher sie kamen, desto größer wurden die Bäume, und desto feuchter wurde der Wald. Immer öfter ragten nun gewaltige Urwaldriesen mit unregelmäßigen Kronen zwischen den niedrigeren Bäumen in den Himmel. Überall rankten sich Lianen von moosüberwucherten Zweigen, wuchsen große Farne, die Blätter zum Teil eingerollt wie Schneckenhäuser. Verrottete Baumstämme lagen quer, immer wieder musste Isabel nach Wurzeln und Lianen greifen, um Halt zu finden. Alles war in grünen Flaum gekleidet. Kleine Pilze, rote und gelbe Orchideen, so klein wie Schneidernadeln, sprenkelten Stämme und den moosigen Boden.
Ihr Magen knurrte. Die zwei kleinen Fische, die Noah gestern gefangen hatte, waren längst vertilgt. Man hätte meinen können, in einer so vor
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