Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
tatsächlich. Jetzt merkte sie erst, wie hungrig sie war.
»Sind diese Kâte wirklich Menschenfresser?«, fragte sie schaudernd zwischen zwei Bissen.
Er lächelte breit.
»Nein. Das sind Schauermärchen für weiße Kolonisten. Ich wollte Ihnen nur Angst machen, damit Sie still sind. Keiner der Stämme, die ich kenne, hat je Menschenfleisch gegessen.«
Sprachlos vor Empörung ließ sie das Fleisch sinken und sah ihn an. Er hatte sie schon wieder an der Nase herumgeführt! Seinetwegen hatte sie eine furchtbare Zeit voller Angst verbracht!
»Ich werde Ihnen nie wieder auch nur ein einziges Wort glauben!«, brachte sie schließlich hervor und biss in das Fleischstück.
*
Der kleine Lagerplatz war eben und trocken. Mit dem Buschmesser, das Noah bei den Kâte eingetauscht hatte, waren sie erheblich einfacher und schneller vorangekommen. Dennoch würde er heute Abend kein Feuer machen, schließlich musste er vermeiden, den Suchtrupp, der ihnen sicher seit heute folgte, auf seine Fährte zu lenken.
Während er ein paar Farnwedel schnitt, blickte er zu Isabel, die auf einem umgestürzten, mit Moos und Flechten überwucherten Baumstamm saß. Er hatte darauf verzichtet, sie anzubinden – sie war zu erschöpft, um etwas Dummes anzustellen. Ob sie immer noch wütend auf ihn war? Es tat ihm leid, was er ihr zumutete, aber es ging nicht anders. Sie würde darüber hinwegkommen. Sie war stärker, als ihr selbst bewusst war.
Er hatte überlegt, ob er sie bei den Kâte lassen sollte. Aber das erschien ihm dann doch zu riskant – er war sich nicht sicher, ob er ihnen wirklich trauen konnte, Isabel zurück nach Simbang zu bringen. Dem Häuptling der Kâte hatte er erzählt, dass er in der Nähe der Küste entlang nach Süden wollte, um mit den dortigen Stämmen Handel zu treiben. Natürlich stimmte nichts davon. Aber falls der Suchtrupp auch hier vorbeikam, würde das die Männer hoffentlich in die falsche Richtung lenken.
Sein wirkliches Ziel war der Kaiserin-Augusta-Fluss oder Sepik, wie ihn die Kandangai nannten. Er würde zurückgehen zu dem Stamm, den er vor fünf Jahren verlassen hatte. Auf dem Landweg war das nahezu unmöglich; dieses Gebiet war durchzogen von Bergen und dichtem Dschungel, in dem man nur schlecht vorankam. Seine einzige Chance war der Wasserweg. Nicht weit von hier, irgendwo in den Bergen, entsprang der Ramu, von den Deutschen Ottilienfluss genannt. Er würde ein Kanu organisieren und dem Ramu bis zum Meer folgen. An der Küste konnte er dann zur Mündung des Sepik gelangen. Auf dem Weg dorthin würde er Isabel in Konstantinhafen oder Stephansort freilassen, von wo sie mit einem Schiff nach Finschhafen zurückkehren konnte. Und sie niemals wiedersehen.
Als er beginnen wollte, wie schon am vorigen Abend einen Unterschlupf zu bauen, schlang sie die Arme um sich.
»Mir ist kalt«, murmelte sie mit schwerer Zunge.
»Es ist doch nicht kalt.« Er hielt inne und sah auf. Sie war blass, und ihre Lippen waren völlig farblos. Wurde sie etwa krank?
»Ich fürchte, ich … bekomme einen neuen Malariaanfall«, brachte sie dann auch stockend hervor. »Ich … ich brauche Chinin.«
»Das haben wir leider nicht.«
Tatsächlich: Sie bekam Schüttelfrost. Ihre Zähne klapperten laut aufeinander, ihr ganzer Körper bebte. Es war kein ungewohnter Anblick für ihn; alle vier Missionare von Simbang litten immer wieder unter dem Wechselfieber, mal mehr, mal weniger heftig. Meistens war der Anfall nach ein paar Stunden wieder vorüber. Schlimm war es nur gewesen, als Conrad plötzlich am Schwarzwasserfieber erkrankt und binnen weniger Tage gestorben war.
Er verbannte die jähe Furcht, die in ihm aufsteigen wollte. Nein, Isabel würde nichts passieren.
»Bekommen Sie … eigentlich … keine … Malaria?«, fragte sie mit klappernden Zähnen.
Er schüttelte den Kopf. »Nicht, solange ich mich erinnern kann.« Das hieß, seit ungefähr zehn Jahren nicht mehr. »Ich glaube, die meisten Einheimischen sind davor gefeit.«
Rasch schichtete er einige der zusammengesammelten Farnwedel auf. Den Unterschlupf konnte er nachher immer noch bauen. »Kommen Sie, legen Sie sich hin.«
Sie gehorchte widerspruchslos und rollte sich seitlich auf dem Farnbett zusammen. Ihr ganzer Körper bebte unter Schüttelkrämpfen, sie stöhnte. Er zog sein Hemd aus und legte es über sie, aber sie zitterte weiterhin.
Er zögerte. Zu gut war ihm noch ihre gestrige Furcht in Erinnerung. Dennoch ging er zu ihr.
»Haben Sie keine Angst. Ich will
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