Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
ertragen hatte, die ihr ihren Platz in der Welt klarmachten – mit einem verkürzten Bein, ohne Ehemann, verdammt dazu, ein lästiges Anhängsel ihrer Schwestern zu bleiben. Sie hatte sich für ein neues Leben jenseits dieser kleinbürgerlichen Begrenztheit entschieden. Und irgendwie würde sie schon aus ihrer augenblicklichen misslichen Situation herauskommen.
Wenn sie nur aus Noah klug würde! Seit jenem Abend hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen, und inzwischen wirkte er vollkommen fremd auf sie. War das noch derselbe Mann, mit dem sie tagelang durch den Urwald gelaufen war? Der ihr einen Unterschlupf gebaut und der sie gehalten hatte? Der sie geküsst und in jenem intimsten aller Momente ihren Namen gemurmelt hatte? Sie erkannte ihn kaum wieder, und daran war nicht nur seine fremdartige Aufmachung mit Hüfttuch, Knochenkette und federgeschmückten Armbändern schuld. Sein ganzes Verhalten hatte sich verändert. Genauso schnell, wie er sich den fremden Dialekt angeeignet hatte, hatte er sich auch sonst den Donowai angepasst. Er kleidete sich wie sie, übte sich mit ihnen im Bogenschießen, ging mit ihnen auf die Jagd, und selbst Korua-Kolta schien sich mit ihm versöhnt zu haben.
Wenn er wenigstens mit ihr geredet hätte. Wieso sprach er nicht mit ihr? Wieso ließ er sie allein mit ihren Ängsten und Sorgen? Wusste er nicht, wie verloren sie sich unter diesen Eingeborenen fühlte, deren Sprache sie nicht verstand und die ihr nach wie vor Schrecken einflößten? Aber er schien sich in der Gesellschaft der Donowai-Männer vollkommen wohl zu fühlen und keine Notwendigkeit zu sehen, sich mit ihr abzugeben. Hatte sie sich so in ihm getäuscht? Er war immerhin zur Hälfte Papua – brach jetzt seine wahre Natur durch? War sie tatsächlich nur eine »Trophäe« für ihn gewesen, die er wegwerfen konnte, nachdem er sie sich genommen hatte?
Isabel war zum Heulen zumute, aber sie schluckte die Tränen hinunter. Sie hatte schon so viel durchgemacht, sie würde auch das hier irgendwie überstehen.
Doch je länger sie darüber nachdachte, desto mehr wuchs in ihr der schreckliche Verdacht, dass Noah womöglich gar nicht mehr vorhatte, diesen Ort zu verlassen. Es ging ihm doch gut hier. Er war aus Simbang geflohen, weil man ihm einen Mord zur Last legte. Ob er ihn nun begangen hatte oder nicht, das würde sich vermutlich nie klären.
Aber was sollte dann aus ihr werden? Musste sie etwa befürchten, auf Dauer hierzubleiben? Unter diesen – Menschenfressern?
*
Die Hitze war drückend und schien sich wie ein feuchtes, warmes Handtuch über sie zu legen. Selten wehte wie an der Küste ein leichter Wind, der die Schwüle erträglicher machte. Auch die vielen Mücken plagten Isabel. Ständig wischte und wedelte sie sie fort. Zwar wurden auch die Donowai davon heimgesucht, aber am meisten schienen die fliegenden Quälgeister sie, die weiße Frau, zu bevorzugen.
Vier Tage waren sie jetzt bereits bei den Donowai. Fünf, wenn man den Tag ihrer Ankunft mitzählte. Isabel versuchte, sich nützlich zu machen, doch zu kaum etwas von dem, was die anderen Frauen taten, konnte sie etwas Sinnvolles beitragen. Nichts gelang ihr richtig. Sie vermochte weder die kunstfertigen Tragetaschen zu knüpfen, noch war sie sonderlich geschickt darin, Bastmatten zu flechten. Vormittags säuberte sie gemeinsam mit den Frauen das Haus und den Feuerplatz und suchte mit ihnen im Wald, der das Dorf umgab, nach Beeren und Wurzeln. Nachmittags ging sie mit ihnen zu den Beeten und bestellte den Garten, half mit, die Erde umzugraben und von Unkraut zu befreien und die Früchte zu ernten.
Obwohl sie nie alleine war, fühlte sie sich entsetzlich einsam. Immerhin kannte sie allmählich die Namen der weiblichen Donowai – zwölf Frauen, die mit ihr im Frauenhaus lebten und schliefen, sowie einige junge Mädchen und kleine Kinder. Sie selbst nannte sich Isa – der Name war auch für Donowai-Zungen halbwegs einfach auszusprechen. Nur reden konnte sie mit den Frauen nicht. Keine von ihnen sprach Tok Pisin oder wenigstens Jabim. So verständigte sie sich weiterhin mühsam mit Zeichen und den wenigen Brocken der Donowai-Sprache, die sie aufgeschnappt hatte, arbeitete ansonsten schweigend an ihrer Seite und gönnte sich genau wie die anderen Frauen mehrmals am Tag den kurzen, schönen Betelrausch, auch wenn es ihr nicht schmeckte und ihre Zähne färbte. Es half ihr, alles nicht ganz so schwarz zu sehen.
Bis ihr die alte Jägogenga eines Morgens im
Weitere Kostenlose Bücher