Im Herzen der Wildnis - Roman
Muhen der Kühe und das Schreien der Kälber. Sie waren in den Matanuska gestiegen und mit gereckten Köpfen hinüber auf die andere Seite geschwommen. Die Hunde waren natürlich völlig außer Rand und Band gewesen. Shorty war unruhig herumgesprungen und hatte Rob fast umgerissen, so eilig hatte er es, die Karibus zu jagen – und alle anderen waren ihm aufgeregt kläffend gefolgt. Die Schüsse aus ihren Winchesters waren im Donnern der Hufschläge der fliehenden Karibus und dem Krachen niedergetrampelter Äste fast untergegangen.
Sie hatten zwei Karibus erlegt und zu ihrer Hütte geschleppt. Dort hatten sie sie aufgebrochen und ausgenommen. Dann hatten sie das Fleisch zerlegt, um es zu trocknen. Weil der strömende Regen bereits eingesetzt hatte, hatten sie das Fleisch nicht wie üblich in die Baumkronen gehängt, um es vom Wind trocknen zu lassen, sondern in die Dachbalken der großen Hütte des Handelspostens. Den Schinken hatten sie in schmale Streifen zerschnitten, die sie auf Holzstöcke steckten und über dem Ofen trockneten. Nach drei oder vier Tagen wären sie hart und spröde und würden sich monatelang halten. Colin und Josh brauchten das Trockenfleisch für die bevorstehende Reise nach Nome. Wenn sie erst einmal mit dem Kanu auf dem Tanana zu seiner Mündung in den Yukon paddelten, würden sie nur noch wenig Gelegenheit zur Jagd haben.
Seit jenem Tag goss es in Strömen, und sie saßen in der Hütte fest. Nach vier Tagen auf engstem Raum spürten sie die ersten Symptome des Hüttenkollers. Die ständige Gegenwart der anderen führte dazu, dass sie einander auf die Nerven gingen. Eine missverständliche Geste, ein dummer Spruch, der als freundschaftliche Neckerei gedacht war, das etwas zu laute Schließen der Hüttentür – all das reizte sie. Colin und Josh kannten die Gefahren des Hüttenkollers, der schon so manche Tragödie heraufbeschworen hatte, aber für Rob war das Brummeln und Schmollen der anderen eine neue Erfahrung. Das Poltern mit Bratpfanne und Kochtopf und das Knallen der Tür erschreckten ihn ein wenig. Ihre Bewegungen waren zurückhaltend und verkrampft. Sie stritten sich nicht, weil sie wussten, welche tragischen Folgen das haben konnte. Sie versuchten einfach, ruhig zu bleiben und Geduld zu bewahren. Aber es schüttete unablässig.
Josh schraubte den Federhalter zu und gab ihn Rob zurück.
Er winkte ab. »Behalte ihn. Du hast deinen doch verloren.«
»Danke.« Josh steckte ihn in die Tasche seines Parkas.
Rob richtete sich auf. »Was hast du ihr geschrieben?«
Wortlos reichte Josh ihm den Brief.
»Josh, ich kann doch nicht …«
»Lies! Und sag mir, ob ich die richtigen Worte gefunden habe. Ich will ihr nicht wehtun.«
Rob ließ sich aufs Bett zurücksinken und las den Brief, den er wie die anderen Hamish übergeben sollte. Der Straßenwerber konnte ihr vielleicht eines Tages Joshs Briefe zustecken. Seine Zeilen waren sehr gefühlvoll. Und sehr traurig. Wie sehr er sich nach ihr sehnte! »Dein Brief ist wunderschön.« Rob gab ihn zurück. »So eine große Liebe!«
Josh nickte versonnen. »Und du? Shannon oder Sissy – du wirst entweder Colins oder mein Schwager. Hast du dich schon entschieden, wen du heiraten willst?«
Er lächelte matt. »Ja.«
Josh richtete sich auf. »Und? Nun sag schon!«
Shannon nahm Bessie, die an einem Felsen lehnte, behutsam das Baby ab. Das kleine Gesicht war von der Geburt noch ganz zerdrückt. Der zarte Flaum der Haare war nach dem Waschen im eiskalten Fluss zerzaust. Benommen guckte die Kleine sie an. Mit dem Mund machte sie schmatzende Geräusche. Shannon wurde ganz warm ums Herz. In sechs Monaten würde sie ihr Kind im Arm halten.
Unbewusst legte sie die Hand auf ihren Bauch, als wollte sie fühlen, ob dort schon jemand strampelte. Natürlich spürte sie noch nichts, sie war ja erst im dritten Monat. Aber sie fühlte, da war noch jemand. Sie war nicht allein.
Ganz sanft streichelte sie das süße Baby auf ihrem Arm, das die winzigen Fäustchen über die Windel reckte, die Shannon aus einer von Bessies Blusen herausgerissen hatte. »Wie süß sie ist! Wie willst du sie nennen?«
»Bonnie«, lächelte Bessie, erschöpft von der Geburt.
Gestützt durch eine zusammengerollte Decke hatte Bessie sich gegen einen Felsen gelehnt und während des Pressens ihre angezogenen Knie umfasst. Zwischen den Wehen hatte sie sich so zurücklehnen und ausruhen können. Und als Bonnies Kopf erschienen war, hatte Bessie ihr Kind berühren können, bevor
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