Im Herzen der Wildnis - Roman
hindurchgegangen.«
»Und Sie sind erst vor drei Wochen zurückgekehrt. Nur um festzustellen, dass sich nichts geändert hat. Und dass Ihr Vater, der Ihnen die Freiheit geschenkt hat, nicht mehr da ist.«
»Es war ein Schlaganfall. Mein Vater hat dem Druck nicht mehr standgehalten. Die Erwartungen waren zu hoch, die Regeln zu streng. Caitlin hat ihren Sohn in die Knie gezwungen. Sie hat ihn gebrochen. Daran ist er letztlich gestorben.«
Mit schmerzlicher Intensität kehrte die Erinnerung zurück. Nachdem sie Skip in der Badewanne gefunden hatte, war sie zum Schlafzimmer ihres Vaters gegangen. Sie wusste noch, wie sie sich gefühlt hatte. Sie hatte eine schmerzhafte Lähmung empfunden, eine Kälte in allen Gliedern, und sie hatte es nicht fassen können, dass ihr Vater nicht mehr da war. Warum sie angeklopft hatte, ehe sie leise eintrat, wusste sie nicht. Vielleicht aus Respekt vor dem Toten? Oder aus Achtung vor dem Vater?
Mit gefalteten Händen hatte er auf dem Bett gelegen. Wie immer hatte er einen Anzug mit gestärktem Hemd und steifem Kragen getragen. Im Leben war Sean Tyrell eine außergewöhnliche Erscheinung gewesen. Hochgewachsen und imposant, im Auftreten bezwingend, geradezu überlegen. Und jetzt? Sie war bestürzt gewesen, als sie sein bleiches Gesicht gesehen hatte. Er hatte gelächelt. Aber es war nicht sein Lächeln gewesen, sondern ein Gesichtsausdruck, der ihm wie eine Maske aufgezwungen worden war. Dieses verkrampfte Lächeln hatte seinen Seelenzustand nicht verbergen können: Er hatte gelitten, als er starb. Und sie trug einen Teil der Schuld. Sie hatte ihn im Streit verlassen. Sie hatte Dinge gesagt, die sie jetzt zutiefst bedauerte. Denn sie hatte ihm damit wehgetan. Und er war für immer gegangen, bevor sie sich wieder versöhnt hatten. Bei dem Gedanken hatte sich ihr Herz zusammengekrampft.
Auf der Suche nach einer persönlichen Erinnerung, die ihren Dad und sie verband, hatte sie in seinen Schubladen gestöbert. Sie hatte Fotos von ihrer Mom gefunden. Seit Jahren hatte sie diese Aufnahmen nicht gesehen. Nach der Scheidung hatte Sean seine Erinnerungen an Alannah, seine Gefühle und seine Liebe vor seiner Mutter verborgen – Caitlin hatte Alannah vor Jahren aus dem Haus getrieben. Behutsam hatte Shannon die Bilder ihrer Mom zurück in die Schubladen gelegt.
Im Ankleidezimmer hatte sie seine gebügelten und gestärkten Hemden gefunden. Sie hatte ihr Gesicht in einem Hemd vergraben und den vertrauten Duft eingeatmet. Ihre Trauer hatte sie überwältigt, und endlich hatte sie geweint.
»Du lieber Himmel!«, seufzte Tom bestürzt, als ahnte er, wie sehr die Erinnerungen an ihren Vater sie immer noch aufwühlten. »Ich habe die Kälte gespürt, als ich Caitlin besucht habe«, gestand er leise. Die Vorstellung, dass sie ihren Sohn durch ihre Härte in den Tod getrieben hatte, entsetzte ihn offenbar. »Aber ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm ist.«
»Nicht nur ich empfinde die Atmosphäre in der Familie als unerträglich. Colin ist in Alaska, genießt dort seine Freiheit und kommt nur selten nach Hause. Und Aidan hockt in einer Zelle auf Alcatraz und erklärt trotzig, er sei lediglich von einem Kerker in den anderen verlegt worden.«
»Mein Gott!«
»Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich würde mir wünschen, dass Sie bei Rob und mir wohnen, wenn Sie das wollen. Ich glaube, er würde Sie vermissen, wenn Sie ihm nicht zur Seite stehen. Und ich, ehrlich gesagt, auch.«
»Eine größere Freude hätten Sie mir nicht machen können.«
»Ich habe noch nicht Ja gesagt.«
»Aber auch nicht Nein.«
»Hundertvierzig Millionen sind ein überzeugendes Argument, nicht sofort aufzustehen und zu gehen.«
»Ich glaube Ihnen kein Wort. Das Gold, die Diamanten und die Opale sind Ihnen doch völlig egal. Wenn irgendetwas Sie interessiert, dann der Kerl, den Sie zu dem Vermögen dazubekommen.«
»Womit wir wieder beim Thema wären.«
»Rob Conroy, der begehrteste Junggeselle zwischen San Francisco und Kapstadt. Der, wie ich gestehen muss, im Hinblick auf Frauen bisher einen entsetzlich schlechten Geschmack bewiesen hat.«
Shannon schluckte trocken und formulierte noch an ihrer Frage, als Tom sie ihr beantwortete: »Ja, er hat Geliebte.«
»Mehr als eine?«
»Ja.«
Komm schon, Shannon! Was hattest du denn erwartet? Du wolltest doch einen Kerl und keinen Laffen wie Lance Burnette, Beruf: Sohn, Lebensziel: Erbe.
Tom ahnte, was in ihr vorging. »Wie ich schon sagte, Rob ist der begehrteste
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