Im Herzen der Wildnis - Roman
tristen Gefühlen an. Ian hatte den Posten vor einigen Monaten gegründet, weil er daran geglaubt hatte, dass am Tanana eines Tages Gold gefunden würde. Die schrecklichen Erinnerungen an seinen Tod quälten Josh noch immer. Sein Freund war für ihn gestorben. Weil er ihm das Leben retten wollte. Wie konnte er das jemals vergessen?
Der Handelsposten war mit Vorräten gut ausgestattet. Josh legte seine Liste auf den Tresen, setzte sich vor der Hütte in die Sonne, genoss entspannt ein kühles Bier und beobachtete, wie der Haufen der Leinensäcke, Holzkisten, Pappschachteln und Dosen immer höher wurde. Für seine Huskys kaufte er sämtliche Vorräte an getrocknetem Lachs auf. Außerdem musste die gerissene Säge ersetzt werden. In einigen Tagen wollten Colin und er ein Floß bauen, das mehr Bequemlichkeit bot als die Kanus, die sie nur im Wildwasser fahren wollten. Aber für das Floß, auf dem sie leben wollten, mussten sie große Bäume zersägen und Dutzende von Brettern annageln.
Ein junger Mann wuchtete seinen Rucksack mit Schlafsack und Winchester ins Gras und setzte sich mit seiner Kaffeetasse zu ihm. »Lässt du auch noch was für andere übrig?«
Josh blickte vom National Geographic auf, das er für Colin eingetauscht hatte. Er hatte in der Fotoreportage über eine Tigerjagd im indischen Dschungel geblättert, als er plötzlich auf den Namen Shannon Tyrell gestoßen war. Colin würde sich darüber bestimmt freuen. Schade, dass es kein Foto von Shannon gab, wie sie auf einem Elefanten ritt, um ihre Fotos von dem Tiger zu machen, bevor sie ihn zur Strecke brachte. Josh zuckte lässig mit den Schultern. »Ist doch noch genug da.«
»Ich bin Jake«, stellte der andere sich vor. »Aus Montana.«
Josh fingerte eine Zigarette aus dem Päckchen Chesterfields, steckte sie sich an und musterte Jake. Ende zwanzig, hochgewachsen, lässig gekleidet. Von Sonne, Regen und Schnee ausgebleichte Jeans. Lederjacke mit Fransen an den Ärmeln. Und ein Cowboyhut, den er am Band auf dem Rücken trug. Offensichtlich kein Cheechako, der seinen Mut und seine Abenteuerlust in Alaska austoben wollte. Es war etwas ausgeprochen Männliches in der Art, wie er Josh ansah. »Aha.«
Jake zog den Gedichtband zu sich heran, den Josh eben im Laden gefunden hatte, und blätterte darin. »Walt Whitman«, murmelte er anerkennend und schob das Buch wieder über den Tisch. »Hab ich gelesen, als ich in New York war.«
»Aha.«
»Ich kann dir James Fenimore Coopers Lederstrumpf geben. Hab ich gestern fertig gelesen. Hat mir gut gefallen.«
Sie musterten einander, um sich gegenseitig abzuschätzen, und Jake lächelte dabei, was Josh aus einem Grund, den er selbst nicht benennen konnte, aus der Fassung brachte. Aber Jake ließ sich nicht abschrecken. »Wohin willst du?«
»Nach Nome«, sagte er kühler, als es eigentlich seine Art war.
»Ich auch«, nickte Jake. »Mit einem Boot? Tanana, Yukon, Beringsee?«
Josh legte den Kopf schief und blickte ihn genervt an. »Nein, mit dem Fahrrad. Über den zugefrorenen Yukon. Die Vorräte müssen bis zum Winter reichen.«
Jake prustete los und lachte schallend. Joshs genervten Ton ignorierte er einfach. »Und wieso hast du nach Briefpapier gefragt?«
»Jake?« Er schlug das Magazin mit Shannons Artikel zu. »Du nervst.«
»Du auch.« Er nippte an seinem Kaffee und stellte die Tasse wieder auf den Tisch. »Dann haben wir beide bestimmt jede Menge Spaß, wenn wir zusammen nach Nome fahren.«
Josh sagte nichts. Jakes Augen funkelten. Seine provokative Schlagfertigkeit erinnerte Josh an Ian, aber er wollte Jake nicht mit ihm vergleichen. Seine Hände zitterten vor Wut.
»Du hast schon einen Partner«, vermutete Jake mit Blick auf den Haufen von Vorräten. »Die Lebensmittel reichen für zwei.«
Josh knirschte mit den Zähnen und antwortete nicht.
»Du und dein Freund, ihr habt zwei Pferde, aber nur ein Huskygespann. Und ein Husky fehlt. Was ist passiert?«
Jetzt reichte es! Josh haute auf den Tisch, dass Jakes Kaffeetasse einen Satz machte. Jake war plötzlich ernst, und sein Blick war voller Mitgefühl. Josh schwang seine langen Beine über die Holzbank und stand auf. »Schönen Tag noch.«
»Dir auch.«
Aber der Tag war verdorben. Seine Freude über den Aufbruch mit den Kanus und die Zufriedenheit über ein gemütliches Abendessen mit Colin waren dahin, vertrieben von der Missstimmung, die er Jake zu verdanken hatte. Er hatte ihn an Ians Tod erinnert. Er hatte ihn an den Verlust seines besten
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