Im Herzen der Wildnis - Roman
überraschend der Eisbrecher aufgetaucht war, als Colin, Jake und Josh gegen halb zwei Uhr morgens im Creamerie Café gepokert hatten. Die Nome News hatte das elegante Restaurant voller Stolz als das beste in ganz Alaska betitelt: »Was Delmonico’s für New York ist und das Palace Hotel für San Francisco, das ist das Creamerie Café für Nome.« Kein Wunder: Nome war mittlerweile die größte Boomtown Alaskas. Und das Creamerie Café war das großartigste Haus inmitten einer riesigen Zeltstadt, die sich zwanzig Meilen am Strand entlang erstreckte, der in Tausende von Claims aufgeteilt war. Nie war die Goldsuche leichter gewesen als in Nome! Hier mussten die Digger sich nicht mit Dynamit durch den gefrorenen Boden sprengen, um an das Gold heranzukommen, hier mussten sie nur den Strand umgraben. In den letzten Monaten war Gold im Wert von drei Millionen Dollar aus dem Sand gesiebt worden – Colin und Josh hatten ein Vielfaches davon verdient. Und auch Jake, der nach wie vor eigene Geschäfte machte, war so reich wie nie zuvor. Er hatte seiner Schwester die Farm in Montana gekauft, von der er Colin und Josh am Lagerfeuer erzählt hatte.
Josh hatte mit seinen Freunden gepokert, als im überfüllten Café eine wüste Schlägerei ausgebrochen war, weil eben die letzte Flasche Whiskey geleert worden war. Notstand in Nome! Nicht, dass nur die Lebensmittel ausgegangen waren, nein, es gab auch keinen Alkohol mehr! Der lange Winter hatte an den Whiskey- und Biervorräten gezehrt, die die Saloons von Nome auf Lager hatten. Schon seit Wochen wurde der Wodka, der über das Eis aus Sibirien geholt worden war, mit Wasser und Tabascosauce gestreckt. Plötzlich wurden Fäuste geschwungen, Schüsse wurden abgefeuert, und das Chaos brach aus.
In diesem Augenblick war der US Marshal in das Restaurant gestürmt, hatte in die Luft geballert, um die Prügelei zu beenden, und hatte gebrüllt, die Positionslichter eines Eisbrechers wären am Horizont gesichtet worden. Viel früher als erwartet: Das erste Schiff aus San Francisco kam üblicherweise erst Mitte Juni, wenn das Eis der Beringsee getaut war. Der erste Kontakt zur Außenwelt seit ihrer Ankunft in Nome im letzten Herbst! Hunderte Goldgräber waren über den gefrorenen Norton Sound zu dem Schiff gerannt, das rasch näher gekommen war. Aber Colin war schneller gewesen: Sein Schlitten hatte noch vor dem Café gestanden. Im Nu war er bei dem Eisbrecher gewesen und war als Erster an Bord geklettert, um den Frachtraum zu plündern.
Über der Eisfläche wogte das Nordlicht durch den Nachthimmel und tauchte die verschneite Landschaft in ein unwirkliches Glühen. Das Schiff, vermutlich aus San Francisco, lag weit draußen, wo das Eis bereits gebrochen war. Nur die Positionslichter konnte Josh in der frostklirrenden Luft erkennen, denn das Schiff war von einer riesigen Menge Menschen umgeben, die auf dem gefrorenen Sound ein Freudenfest feierten. Jubel brandete auf: frisches Gemüse, reife Früchte, Rindfleisch, Kartoffeln, Eier, Kaffee und Whiskey! Und Nachrichten aus der Heimat! Hatte der Eisbrecher die Post mitgebracht? Päckchen von der Frau und den Kindern? Kuchen und Plätzchen? Briefe? Fotos? Kinderkritzeleien? Irgendein Beweis, dass man nicht vergessen war?
»Wo ist Colin?«, fragte Jake. »Ich sehe ihn nicht.«
Josh deutete auf die glitzernde Eisfläche. »Siehst du die Menschenmenge rund ums Schiff?«
»Du meinst die Horde verrückt gewordener Cheechakos, die mit ihren Colts in der Gegend herumballern?« Jakes Magen knurrte. Vorgestern hatten sie sich die letzte Dose gefrorener Bohnen in Tomaten-Chili-Sauce geteilt.
»Links.« Er sah Jake von der Seite an, dann blickte er wieder hinaus aufs Eis. »Noch weiter links, Jake. Da drüben, siehst du? Er fährt einen weiten Bogen mit dem Schlitten. Er fürchtet wohl, überfallen und ausgeplündert zu werden.«
»Jetzt sehe ich ihn. Sein Schlitten ist voll beladen.«
Sherrie drängte sich neben sie und blickte hinüber zu ihrem Mann, der sich mit hoher Geschwindigkeit näherte. Obwohl sie einen weiten pelzgefütterten Parka trug, war ihr Bauch deutlich sichtbar. Sie war im siebten Monat. »Kommt in die Hütte, Jungs. Es ist kalt draußen.«
Weder Jake noch Josh rührten sich von der Tür weg.
Seufzend verschwand Sherrie in die Hütte und kehrte mit zwei Tassen Kaffee zurück, die sie Jake und ihm in die Hand drückte. Josh trank einen Schluck. »Danke.«
»Der letzte Kaffee«, sagte sie. »Hilft gegen den Hunger.«
»Ist
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