Im Herzen der Wildnis - Roman
geschworen hatten. Er hatte vom Glück geträumt. Er hatte es wirklich gespürt und genossen. Es war wie eine Erlösung gewesen.
Nie mehr würde er wie gestern Abend voller Wehmut in ihren Briefen blättern. Oder verblassende Fotos anstarren, auf denen Claire und er glücklich aussahen. Nie mehr würde er an ihrem Parfum schnuppern und sich dabei an zärtliche Augenblicke erinnern. Oder in einem sentimentalen Anfall die niedlichen Babyschühchen hervorkramen, die Claire gekauft hatte, nachdem sie sich verlobt hatten. Er würde nie mehr auf diese Weise Abschied nehmen. Von Claire, seiner großen Liebe, von der Hoffnung auf ein Kind. Und von der Sehnsucht auf eine Zeit des Glücks.
Nach dem Frühstück sattelte er Chevalier, mit dem er gestern zur Lodge in San Rafael gekommen war. Er schnallte die gepackte Tasche auf und nahm die Winchester. Er legte sie an und schwenkte den Lauf am Waldrand entlang. Sein Finger, der sanft auf dem Abzug lag, feuerte einen lautlosen Schuss ab.
Carpe diem! Genieße den Tag. Es ist der letzte.
Aidan befestigte die Winchester am Sattel und schwang sich hinauf. Chevalier tänzelte unruhig, warf schnaubend den Kopf hoch und schüttelte ungestüm die Mähne, aber Aidan tätschelte beruhigend seinen Hals. »Ist schon gut, mein Junge. Ist ja gut!«
Er genoss den Ritt. Er verließ den Weg und galoppierte über die Wiesen zwischen den sanften Hügeln. Tief atmete er die kühle Dezemberluft ein und jauchzte auf, als es plötzlich in kleinen glitzernden Kristallen zu schneien begann. Die Schneeflocken sahen aus wie vom Wind verwirbelte Jinny Joes voller Wünsche, die in Erfüllung gehen, voller Träume vom Glück. Lerchen flatterten zwitschernd auf, als er ausgelassen lachend vorübergaloppierte. Nach wenigen Meilen hatte er die Bergkette erreicht, hinter der das Tal der Sequoias lag.
In Cathedral Grove herrschte eine feierliche Ruhe, die in ihm ein Gefühl vollkommener Einsamkeit hervorrief. Aidan sprang aus dem Sattel, schnallte die Tasche und die Winchester ab, ließ Chevalier zurück und ging weiter durch das Farndickicht.
Sein Herz war weit offen. Sein Blick flog an den mächtigen Stämmen der Sequoias empor, die die Säulen einer Kathedrale aus Licht bildeten. Die schräg einfallenden Sonnenstrahlen und die zarten Nebelschleier, die vom Pazifik heranwehten, verliehen diesem Ort eine fast mystische Atmosphäre, als wäre er nicht von dieser Welt. Aber noch viel schöner war der rieselnde Schnee. Aidan streckte die Hand nach den Flocken aus, um sie zu fangen, als wären sie Jinny Joes. Eine stille Freude erfüllte ihn. Er war noch nie so glücklich gewesen. Nicht einmal, als Claire und er an diesem Ort die Ringe getauscht hatten.
Als er die Winchester gegen eine umgestürzte Sequoia lehnte und die Satteltasche öffnete, kam ihm das Zitat von Henry David Thoreau in den Sinn: »Ich ging in die Wälder, denn ich wollte wohl überlegt leben – intensiv leben wollte ich. Das Mark des Lebens in mich aufsaugen, um alles auszurotten, was nicht Leben war. Damit ich nicht in der Todesstunde inne würde, dass ich gar nicht gelebt hatte.«
Auf einmal hatte er Tränen in den Augen, und das Herz wurde ihm schwer. Doch das Gefühl der Schwäche ging schnell vorüber. Er hatte sich entschieden.
Aidan zog den Pullover und die Jeans aus und legte mit ruhigen Bewegungen seine Galauniform als Colonel der US Army an. Den West-Point-Ring eines Offiziers. Den Gürtel mit dem Säbel. Die weißen Handschuhe. Die Schirmmütze. Caitlin hatte ihm seine Würde und seine Ehre genommen, als sie ihn, den Versager, den Feigling, den Verräter, wie sie ihn nannte, mit Schimpf und Schande aus der Familie verstoßen und mit einem inszenierten Militärgerichtsprozess nach Alcatraz verbannt hatte. Nur er selbst konnte sich seine Selbstachtung und sein Ansehen wiedergeben.
Langsam durchquerte er Cathedral Grove und genoss den frischen Schnee auf seinem Gesicht. Er setzte sich auf einen moosbewachsenen Felsen zwischen den Farnen und den Sequoias. Er lauschte den Geräuschen des Waldes, die die Stille noch intensiver erscheinen ließen. Diese Stille war friedvoller als die kalte Lautlosigkeit zwischen den Mauern von Alcatraz und das eisige Schweigen zwischen ihm und Caitlin. Nicht weit entfernt raschelte ein Bär durch das Gestrüpp. Er zog seinen Colt und wartete ab, ob er zu ihm herüberkam. Doch der Bär stapfte weiter, ohne ihn zu beachten.
Ich bin allein, dachte er. Auch wenn Shannon mir mit großer Behutsamkeit das
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