Im Herzen der Wildnis - Roman
Gedanken, und sie würden alles füreinander tun. Die Huskys konnten einem nicht das Leben retten, ein Freund wie Ian aber konnte es. Frag dich also nie, was dein Freund für dich tun kann, war Joshs Leitsatz, sondern was du für deinen Freund tun kannst. Denn er rettet dir irgendwann einmal das Leben.
»Die Sehnsucht nach ihr zerreißt mir das Herz.«
»Und ich sag noch: Lies nicht Jane Austen«, frotzelte Ian.
Josh warf das Kissen nach ihm, aber Ian schleuderte es lachend zurück. Mit einem Knall landete es vor dem Sofa.
Die Stimmung wurde lockerer, dank Ian. Er war ein feiner Kerl. Es fiel Josh nicht schwer, mit ihm über seine Gefühle zu reden. Ian hörte ihm geduldig zu, als er sich ihm zu den aufwühlenden Fanfaren von Les Préludes anvertraute. Dann verhallte der letzte Ton im Knistern und Rascheln der Innenspur der Schellackplatte, und Josh verfiel in ein wehmütiges Schweigen.
Es war alles gesagt. Nein, nicht alles. »Tut mir leid, Ian, dass ich dich mitten in der Nacht aus dem Bett geholt habe. Es ist albern, ich weiß. Aber sie hat mich zutiefst berührt.«
»Ich find’s gar nicht albern, Josh. Soll ich dir was verraten?« Ian grinste verschmitzt. »Ich hab auch Jane Austen gelesen. Unter der Bettdecke, während du geschlafen hast.«
Josh musste herzlich lachen. »Und?«
»Es ist eines der bewegendsten Bücher, die ich je gelesen habe.« Ian stand auf, hob den Tonarm ab und ließ sich wieder in seinen Sessel fallen.
Sie waren ein eingespieltes Team – jeder Handgriff saß. Es gefiel ihm überhaupt nicht, Ian allein nach Alaska ziehen zu lassen. Freundschaften waren in der Wildnis überlebenswichtig. Auch mit Colin Tyrell war er befreundet, wenngleich Charlton diese Freundschaft nur für ein Gentlemans Agreement hielt. Er wünschte, Ian würde sich mit Colin zusammentun und die beiden würden gute Freunde werden und gemeinsam durch die Wildnis ziehen. Colins Partner war vor einigen Monaten im Yukon Territory verschollen, und Ian und er hatten Colin bei der Suche geholfen – Ehrensache. Schließlich hatten sie den Vermissten gefunden. Er war erschossen worden.
»Wer, glaubst du, ist sie?«, fragte Ian in das Knistern und Knacken des Kaminfeuers hinein.
Josh strich sich über die Stirn. »Keine Ahnung.«
»Wenn sie die Pacific Avenue weitergefahren ist, wohnt sie im Westen der City. Was meinst du, wie viele rote Duryeas es dort drüben gibt?«
»In ganz San Francisco gibt es weniger als hundert Autos. Und die meisten sind schwarz. Es kann also nicht so schwer sein, einen roten Flitzer ausfindig zu machen.« Abrupt setzte er sich auf. »Wir werden sie suchen.«
»Aber nicht jetzt, Josh, ich bitte dich. Es ist kurz nach drei, und wir beide werden jetzt schlafen gehen.« Ian stand auf und warf ihm das zerknüllte Kissen zu. »Morgen früh nach dem Frühstück ziehen wir gemeinsam los.«
Er seufzte. »Was täte ich nur ohne dich, Ian?«
Der lachte trocken. »Mitten in der Nacht allein losziehen, um sie zu suchen, ich kenne dich!« Dann wurde er wieder ernst. »Im Bad findest du eine Zahnbürste und ein Handtuch. Frühstück um acht. Bratkartoffeln, Eier und Speck. Ich mach ein bisschen Krach mit der Bratpfanne, damit du wach wirst. Gute Nacht, Josh, schlaf gut.«
»Du auch, Ian.«
»Besser als du, ganz sicher.«
6
Mit beiden Händen umklammerte er die rostigen Gitterstäbe des kleinen Fensters seiner Zelle. Trotz der Anstrengung, auf Zehenspitzen auf dem Rand der Kloschüssel zu stehen, und trotz des schmerzhaften Krampfes in seinen Beinen genoss er den Blick aufs Meer. Über die im Morgenlicht glitzernde Bay sah er hinüber nach San Francisco. Ein Boot kam von den Piers herüber. Vermutlich brachte es einen Gefangenen. Vielleicht aber auch einen Besucher, obwohl die sich nur selten nach Alcatraz verirrten.
Schritte hallten vom Betonfußboden des Gangs wider und näherten sich. Er stieg von der Toilette herunter.
Captain Myles blieb vor dem Zellengitter stehen, die ein Bett mit Wolldecke, einen Tisch mit Stuhl und ein Wandbrett über dem Waschbecken enthielt. Nicht gerade eine Suite im Palace Hotel, aber eine gute Zelle. Sie erfüllte ihren Zweck. Sie machte den Gefangenen so deprimiert, dass er keinen Gedanken mehr an Flucht verschwendete. Der Captain nickte ihm schneidig zu. In der Hand hielt er einen gefalteten Zettel. »Major Tyrell? Guten Morgen, Sir.«
»Guten Morgen, Captain. Was gibt’s?«
»Die Post, Sir.«
Du lieber Himmel, dachte Aidan, er tut ja so, als brächte er mir
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