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Im Herzen der Wildnis - Roman

Im Herzen der Wildnis - Roman

Titel: Im Herzen der Wildnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norah Sanders
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jeden Morgen einen Stapel Briefe. »Von meiner Familie?«
    »Nein, Sir. Ein Telegramm. Aus Washington.« Captain Myles reichte ihm das Papier durch das Gitter, ohne ihn anzusehen.
    Er erstarrte. Die Antwort lautete also Nein. Er war unfähig, sich zu rühren.
    Als er nicht zum Gitter trat, zog der Captain die Hand zurück. »Ich bedaure, Sir, aber …« Endlich sah er ihn an. »Es tut mir aufrichtig leid. Das Urteil bleibt bestehen. Lebenslänglich.«
    Lebenslänglich. Wie lange war das eigentlich?, fragte er sich. Sein Leben war doch jetzt schon zu Ende. Der lebenswerte Teil voller Liebe und Glück war Vergangenheit. Die Zukunft war nur noch würdeloses Warten auf das Ende. Verzweiflung über das, was geschehen war. Trauer über das, was er verloren hatte. Und Einsamkeit, kälter als die feuchten Mauern von Alcatraz.
    Mehr als dieses Urteil können sie mir nicht mehr antun, dachte er traurig. Seine Ehre als Offizier und Gentleman, seine Freiheit und seine Liebe: Alles hatten sie ihm genommen. Claire würde er nie wiedersehen, nie wieder ihr Lachen hören, nie wieder mit ihr …
    »Sir?« Der Captain klopfte mit seinem West-Point-Ring gegen die Gitterstäbe – offenbar hatte er schon mehrmals vergeblich versucht, seine Aufmerksamkeit zu erregen. »Major Tyrell?«
    Aidan sah auf und atmete tief durch.
    »Alles in Ordnung?«, fragte der Captain mitfühlend.
    Er nickte stumm. Er vermisste Claire so sehr, dass sein ganzer Körper schmerzte.
    »Noch etwas, Sir. Eine junge Dame ist auf dem Weg hierher.«
    Aidans Herz begann zu klopfen. »Miss Claire Sasson?«
    »Nein, Sir.« Der Captain schüttelte bedauernd den Kopf. Er wusste, dass Aidan und Claire verlobt waren. »Miss Shannon O’Hara Tyrell wird gleich unten an der Mole sein. Kommen Sie zum Gitter, Sir. Ich bringe Sie in den Besuchsraum.«
    Shannon war zurückgekehrt? Aidan hatte sie für ihren Mut bewundert, für ihre Freiheit zu kämpfen, alles zurückzulassen und mit einer Hand voll Dollars in der Tasche einfach fortzugehen. Das war weniger, als Caitlin besessen hatte, als sie damals in New York an Land gegangen war.
    Shannons entschlossenes Handeln hatte Aidan ermutigt, seine Uniform auszuziehen und sich vor seinem Vater zu Claire zu bekennen. Sie hatten sich gestritten. Aidan hatte seine Taschen gepackt und an die Tür des Arbeitszimmers geklopft, um sich zu verabschieden. »Vater? Kann ich Sie sprechen, Sir?« Doch der hatte nicht einmal aufgesehen, als Aidan den Raum betreten hatte. Das unversöhnliche Benehmen hatte ihn erschüttert. Wie Caitlin hatte sein Vater die Entehrung der Familie und des Unternehmens durch Aidan nicht hinnehmen können. An diesem Tag hatte Aidan einen Vater verloren, und der einen Sohn, für den er Großes geplant hatte. Nicht, dass sein Vater jemals für ihn da gewesen war. Nicht, dass er sich in seiner Familie jemals geborgen gefühlt hatte. Aber niemanden zu haben, der sich um einen kümmerte, niemanden, der einen liebte, völlig allein zu sein auf einem Felsen im Meer – das war nur schwer zu ertragen.
    Tief atmete Aidan durch. Wieso war Shannon nach vier Jahren zurückgekehrt? Hatte Skip aufgrund ihrer Briefe nicht vermutet, sie würde nie mehr nach Hause kommen?
    Wie benommen trat er zum Gitter, das Captain Myles mit rasselndem Schlüsselbund aufschloss und zur Seite schob. Reglos blieb er stehen, damit ein Wärter ihm Fesseln anlegen konnte. Eng umschlossen die Fußeisen die Hosenbeine seines Gefängnisanzugs. Shannon mit Ketten an Händen und Füßen gegenübertreten zu müssen war entwürdigend. Nein, es gab nicht mehr viel, was sie ihm noch antun konnten.
    Sie erwartete ihn im Besuchsraum. Als sie sich von ihrem Hocker erhob, um Aidan zu begrüßen, legte sie ihre Hand auf das Gitter zwischen ihnen. »Hallo, großer Bruder«, sagte sie traurig.
    »Hallo, kleine Schwester.«
    Sie lächelte, aber ihre Augen waren matt und glanzlos.
    »Danke, dass du gekommen bist«, sagte Aidan und schluckte das verbitterte »Danke, dass du dich zu mir bekennst« herunter, weil er ihr nicht wehtun wollte. Erstaunlich, dass sie überhaupt eine Besuchserlaubnis bekommen hatte. Nicht nur von der Army, sondern auch von Caitlin.
    »Ich wäre gern früher gekommen.« Ihre Hand lag noch immer auf dem Gitter, als wartete sie auf eine Reaktion von ihm, und so wischte er sich die mit dem Rost der Gitterstäbe verdreckten Finger an der Hose ab und legte seine dagegen. Es war seltsam, sie so zu berühren. Sie hatten so etwas noch nie getan. Aber es war

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