Im Herzen der Wildnis - Roman
ihn zu küssen. »Jay, der Tag mit dir war so wundervoll!«, flüsterte sie. »Und die Nacht ist viel zu schön, um jetzt schon zu schlafen …«
»Josh.« Lance Burnette sprang auf wie eine Marionette, die vom Spieler hochgerissen wird, und so stand er wie an unsichtbaren Fäden schwankend und mit baumelnden Gliedern vor Josh, der eben Charltons Büro betreten hatte.
Eine Marionette, mit der gespielt wird und die eine Rolle zu erfüllen hat, die ihr nicht liegt und die sie überfordert, das ist der arme Lance, dachte Josh mit einem Anflug von Mitgefühl. Er drückte die Hand des Mannes, der beinahe sein Schwager geworden wäre. »Entschuldigen Sie meine Verspätung. Ein Telegramm aus Alaska. Wie schön, Sie wiederzusehen, Lance. Wie war’s im Süden?«
»Ganz wundervoll!« Lance zupfte an der Hose seines Geschäftsanzugs und setzte sich wieder.
Josh zog sich einen Stuhl heran. »Und wo waren Sie überall?«, fragte er und schlug locker die Beine übereinander.
»Ich bin von Los Angeles die Küste heraufgekommen. Die Diablo Range, die einsame Zypresse. Sie wissen schon …«
Josh nickte stumm und überlegte, ob Lance ihr Boot gesehen hatte, bevor sie am Sonntagmorgen den Anker lichteten und zurücksegelten.
»Na ja, nun bin ich hier«, druckste Lance herum und warf Charlton einen Blick zu. »Ich habe mit Ihrem Großvater über Ihre Schwester gesprochen … über meinen Antrag …«
Josh verzog keine Miene. »Ah.«
»Obwohl Sissy und ich uns sehr gern haben …« Lance wurde immer nervöser. »… hat er mich eben wissen lassen …«
Josh nickte, und Lance führte den Satz nicht zu Ende. Charlton hatte Lance also abgesagt – er wollte Sissy nach wie vor Rob vorstellen, der in einigen Wochen nach San Francisco kommen würde, um über eine Kooperation zu verhandeln.
Stirnrunzelnd beobachtete Josh, wie Lance ein Foto aus der Jackentasche zog und ihm gab. »Meine Schwester Gwyn … Miss Gwynevere Burnette.«
Der Name passt zu ihr, dachte Josh versonnen und betrachtete das sepiafarbene Foto, das ihn an ein Gemälde von John William Waterhouse erinnerte. Gwyn stand leicht vorgebeugt, als habe der Fotograf sie überrascht, als sie sich von ihrem Stuhl erhob. Die eine Hand raffte den Rock ihres weißen Seidenkleides, die andere ruhte auf der Armlehne und hielt eine Rose. Es war ein ganz zauberhaftes Bild. Gwyn hatte dieselbe schwerelose Anmut, die Waterhouse seinen Heldinnen verlieh, und denselben Charme: süß und unschuldig. »Ihre Schwester ist eine Schönheit.«
Josh wollte Lance das Foto zurückgeben, doch der winkte ab. »Behalten Sie es. Gwyn würde sich sehr geschmeichelt fühlen. Darf ich ihr ausrichten, was Sie über sie gesagt haben?«
Erstaunt blickte Josh von Lance zu Charlton, der ihn über die gefalteten Hände hinweg beobachtet hatte. Was wurde hier eigentlich gespielt?
Lance, der seinen Unwillen spürte, stotterte: »Josh … Mr Brandon und ich … ich meine, Ihr Großvater … nun ja … wir haben eben darüber gesprochen …«
Sein Blick huschte zu Charlton, der sich seiner erbarmte. »Was Lance sagen will: Seine Schwester Gwyn ist eine gute Partie. Sie ist schön, sie ist reich, sie ist nicht dumm, und sie hat Manieren. Als geschäftsführender Partner der Brandon Corporation und als mein Erbe brauchst du eine Frau und einen Sohn. Ich möchte, dass du Gwyn kennenlernst.«
Verkauft zu werden wie Rob! Josh spürte, wie eine heiße Wut in ihm hochstieg, und er ballte die Fäuste auf den Armlehnen, um sich zu beherrschen. »Ist Gwyn nicht in New York?«
»Gelegentlich, in der Park Avenue. Die meiste Zeit des Jahres lebt sie jedoch auf unserem Landsitz in Oyster Bay an der Gold Coast von Long Island. Mein Vater hat das Château vor einigen Jahren aus Frankreich importiert und Stein für Stein wiederaufbauen lassen. Das andere Anwesen liegt nahe den Hamptons am Strand von Long Island«, erklärte Lance, der mit Charlton an seiner Seite doch noch seinen Harvard-Tonfall und seine New-England-Selbstgefälligkeit zurückgewonnen hatte und ihn treuherzig anstrahlte. »Aber Gwyn wird in Kürze nach San Francisco kommen, damit Sie beide sich kennenlernen.«
Josh schüttelte energisch den Kopf. »Nein.«
Charlton hieb mit der Faust auf den Schreibtisch. »Doch.«
11
»… und deshalb, Ladies and Gentlemen, entscheiden Sie sich für den Fortschritt! Entscheiden Sie sich für Eoghan Tyrell als Senator von Kalifornien, denn …«
Der tosende Beifallssturm des fähnchenschwingenden Publikums
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