Im Herzen der Wildnis - Roman
plünderte Ians Schlitten regelrecht aus.
»Hast du auch Bücher dabei?«
»Nur Moby Dick . Habe ich gestern Abend ausgelesen. Neunhundert Seiten pures Abenteuer.«
»Ich kauf’s dir ab. Ich habe genug Goldstaub, um es …«
»Vergiss es. Gib mir ein anderes Buch dafür.«
Ian folgte ihm zu seinem Schlitten und lehnte sich auf die Lenkstange, während Colin einen Packen Bücher herauszog und auf seine Vorräte legte. Ian schlug das Leder auseinander, in das die Bücher eingeschlagen waren, und blätterte in Gustave Flauberts Madame Bovary . Er wollte das Buch schon zuklappen und auf seinen Haufen legen, als er auf der Innenseite des Einbandes einen Namen entdeckte. Er zeigte ihn Colin. »Das Buch gehört deiner kleinen Schwester.«
»Shannon ist nicht da«, winkte er ab.
»Doch, sie ist zurück.«
»In San Francisco?«, staunte Colin.
»Schon seit Weihnachten.«
Wieso war sie zurückgekommen? Er zögerte. »Das wusste ich nicht«, murmelte er schließlich. »Also, willst du das Buch nun haben oder nicht?«
»Yup.« Ian überschlug kurz: »Drei Pfund Elchfleisch, die Zigaretten, die Schokolade und Moby Dick … «
»Vergiss nicht den Amaretto!«
»Den teilen wir uns gleich am Feuer.« Ian schaute auf seinen Haufen. »… gegen Madame Bovary und ein Abendessen mit einem guten Freund. Das ist ein fairer Deal.«
»Ist es nicht. Ich lege noch ein bisschen Goldstaub drauf.«
»Brauchst du nicht!«
»Will ich aber!«
»Colin …«
»Suchst du Streit, Ian? Kannst du haben.«
»Ein echt stures Pack, diese Tyrells …«, brummte Ian.
Colin streckte die Hand aus. Ian schlug ein und haute ihm dabei auf die Schulter, dass er beinahe in die Knie ging. Dann nahm er die Goldwaage vom Schlitten, während Colin einen der Säcke mit Goldstaub zum Feuer trug.
»Sag mal, woher hast du denn so viel Gold?«, staunte Ian, als er die Goldwaage aufbaute.
»Beim Pokern gewonnen. Oben am Yukon. Aber das ist nur die Hälfte, denn alles konnte ich mit dem Hundeschlitten nicht transportieren.«
»Wo ist der Rest?«
»Vergraben.«
»Du spinnst ja! Andere kommen nach Alaska, um das Gold auszugraben, und du verscharrst es wieder!«, lachte Ian. »Wer ist der Kerl, dem du das Gold abgenommen hast?«
»Der Kerl ist eine Lady. Sherrie aus Flagstaff, Arizona. Nach dem Tod ihres Mannes vor zwei Jahren kam sie nach Alaska.«
»Habt ihr beide noch etwas anderes getan, als zu pokern?«
»Wir haben Whiskey getrunken und getanzt.«
»Und dann?«
»Dann hat sie meine Hand genommen und mich die Treppe hinaufgeführt.«
»War’s schön?«
»Ja, sehr.«
»Werdet ihr euch wiedersehen?«
»Schon möglich.«
Ian verzog die Lippen. »Also, wie viel hast du gewonnen?«
»Alles, bis auf ihren Claim. Und ein paar Vorräte.«
»Und dann hast du sie hingebungsvoll getröstet.«
»Yup.«
»Du bist ein echter Gentleman. Also, wie viel ist alles? «
»Keine Ahnung, ich hab’s noch nicht gewogen.«
»Darf ich?« Ian wartete seine Antwort nicht ab, ging zu Colins Schlitten und schleppte alle Goldsäcke, die er zwischen den Vorräten finden konnte, zu ihm herüber. Dann trabte er nochmal los, um ein Notizbuch und einen Stift zu holen, und wog das Gold aus. Im vorletzten Beutel fand Ian die blauen und grünen Steine, die Colin von Håkon und Arne bekommen hatte, und betrachtete die dollarmünzengroßen Bruchstücke aufmerksam von allen Seiten. »Was ist denn das?«
»Arktische Opale, glaub ich.«
»Ich dachte, Opale gäb’s nur in Down under .«
» Up here offensichtlich auch.«
»Wo hast du sie her?«
»Erzähl ich gleich. Wie viel ist das Gold denn nun wert?«
Ian kritzelte eine Weile in seinem Notizbuch herum. Schließlich klappte er es zu und sah ihn an. »Nicht schlecht für einen Pokerabend mit einer Lady. Aber die Geschäftsmethoden von Tyrell & Sons waren ja schon immer abenteuerlich.«
Colin verdrehte die Augen. »Sag schon!«
»Zweihundertachtundvierzigtausend Dollar, ein paar Hundertdollarscheine mehr oder weniger.« Er kippte rückwärts in den Schnee und stöhnte dramatisch: »Puh! Dafür muss ich ein ganzes Jahr arbeiten!«
Lachend zog Colin ihn wieder hoch. »So viel verdienst du?«
»Yup.«
»Ich fahre morgen früh nach Valdez und schicke Caitlin telegrafisch meine Kündigung.«
»Charlton wird die Champagnerkorken knallen lassen. Wie lang ist deine Kündigungsfrist?«
»Lebenslänglich«, meinte Colin trocken.
Ian prustete los. Eine Weile lachten sie ausgelassen, tranken Amaretto aus den Kaffeetassen und
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