Im Herzen der Zorn (German Edition)
Brüder. Die gehen beide auf die Duke University. Und jetzt erwarten die Leute, dass ich eine weibliche Version von ihnen bin.« Damit beendete sie ihre Tirade und starrte auf eine afrikanische Maske, die Tante Nora an der Wand hängen hatte.
Skylar wusste noch immer nicht, was sie antworten sollte. Es schockierte sie, Gabby so reden zu hören. Gabby, die alles hatte und bei der alles so einfach aussah.
»Weißt du, es ist noch nicht mal Zach, den ich am meisten vermisse«, sagte Gabby und blickte Skylar wieder an. »Als er weg war, hatte ich ja wenigstens immer noch Em … aber jetzt hat sie kaum noch Zeit für mich, und wenn, dann benimmt sie sich einfach seltsam. Ich weiß gar nicht, was mit ihr los ist, und der Versuch, es herauszufinden, ist so anstrengend.«
Skylar hörte zu und ließ Gabbys Worte auf sich wirken. Sie versuchte, etwas Mitleid für sie aufzubringen, was ihr jedoch schwerfiel. Die Leute erwarten von dir, dass du perfekt bist, weil du dich so benimmst, als wärst du es bereits , hätte sie am liebsten gesagt. Und soweit Skylar das beurteilen konnte, ähnelte Gabby ihren älteren Brüdern ziemlich – sie besaß unzählige Freunde und Verehrer, ob mit oder ohne Em und Zach.
»Ich mach mir noch einen Drink«, sagte Gabby plötzlich und erhob sich vom Sofa, um wieder auf die Küche zuzusteuern. Skylar begleitete sie und kippte dabei rasch den Rest ihres eigenen verwässerten Getränks hinunter.
Gabby füllte zu gleichen Teilen Rum und Saft in ihr Glas. »Nicht, dass ich nicht gerne viel zu tun hätte und Sachen organisiere und, na ja, ein Mädchen bin – mich um meine Frisur und meine Klamotten kümmere –, ich glaube nur, ich bin einfach … ausgelaugt oder so«, sagte sie, wobei sie ihren Drink in der einen Hand hielt und mit der anderen abwesend an ihrem Schlüsselanhänger herumfummelte, der auf dem Tisch lag. Sie behauptete zwar, sich schlapp zu fühlen, ihre Nervosität ließ sie aber dennoch hektisch wirken. »Die Leute verstehen das nicht. Sie glauben, das wäre alles der reine Spaß. Aber manchmal«, an dieser Stelle wurde ihre Stimme ganz leise, »wünsche ich mir einfach mal eine Pause.«
Keiner sagte etwas und Gabbys Worte hingen in der Stille. »Warum machst du dann keine?«, fragte Skylar schließlich. »Es klingt ja fast, als stündest du kurz vorm Burn-out.« Doch Skylar wusste genau, dass Gabby keine Pause einlegen würde. Warum sollte sie, wo alles so gut lief?
Gabby nickte. »Ich weiß, das sollte ich, aber …«
Aber es ist einfach zu schön, sich im Glanz der Vollkommenheit zu sonnen, hm?
Gabby starrte auf ihre Schlüssel, mit denen sie noch immer herumspielte. An dem Anhänger baumelte ein ungefähr streichholzbriefchengroßer Plastikrahmen. Gabby streckte ihn Skylar entgegen. »Sieh dir das an«, sagte sie.
Das Foto zeigte Gabby und Em. Sie machten beide lustige Grimassen und hatten die Arme umeinander geschlungen.
Die Farben wirkten strahlend.
»Ich weiß, wir sehen total kindisch darauf aus, aber ich liebe dieses Foto«, sagte Gabby, während sie Skylars Cocktail nachfüllte. »Wir haben es erst diesen Herbst aufgenommen. Meine Mom war auf einem TV-Kongress in New York und wir haben sie begleitet. Das ist auf dem Times Square.«
»Das war erst vor ein paar Monaten?« Einen kurzen Moment vergaß Skylar, dass sie eigentlich schmollte. Sie war ehrlich überrascht. »Em sieht jetzt so völlig anders aus.« Und das stimmte. Das Mädchen in dem Plastikbilderrahmen war nicht dasselbe, das Skylar kannte. Die Em, die Skylar kannte, würde nie so … albern sein. Und die Em, die Skylar kannte, hatte etwas Schweres im Blick. In dem Blick des Mädchens jedoch, das da gemeinsam mit Gabby auf dem Foto war, lag nichts als Freude.
»Ich weiß, inzwischen sieht sie anders aus«, sagte Gabby, zog den Schlüsselring wieder zurück und platzierte ihn sorgfältig neben ihrer Handtasche. »Jetzt ist sie dünner. Und blasser. Nicht, dass sie nicht gut aussähe. Ich meine, sie hat schon immer diese tolle Haut, darum beneide ich sie sehr.«
»Du hast auch tolle Haut, Gabs«, sagte Skylar verächtlich.
»Oh, danke«, antwortete Gabby und wurde leicht rot – oder kam das von dem Rum? »Zum Glück hast du mich noch nie gesehen, nachdem ich Muscheln gegessen habe. Ein Bissen und meine Haut schwillt total an und wird knallrot. Früher hatte ich immer Albträume, in denen meine Haut dauernd so aussah.« Sie schauderte.
Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer stellte Skylar sich vor, wie
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