Im Herzen des Kometen
»Wir können nicht zurück zur Erde. Niemals. Man wird uns nicht glauben, daß wir keine Krankheitsträger sind, und man wird damit verdammt recht haben.«
Sauls papierenes graues Gesicht lebte auf, schien Möglichkeiten zu erspüren. »Dann… wo können wir…«
»Darüber müssen wir entscheiden. Wir zielen auf einen nahen Vorbeigang am Jupiter, aber von dort können wir uns überallhin katapultieren.«
»Ich verstehe.«
»Recht so.« Carl lächelte ironisch. »Und diese Gruppe fröhlicher Burschen muß sich darüber einigen, was und wie es zu tun ist.«
Carl behielt Saul während des Weiteren Verlaufs der Besprechung im Auge. Der Mann lauschte stumm, versunken in seine eigenen düsteren Betrachtungen.
Malcolm war störrisch und widerwillig. Nach längerem Hin und Her stimmte er endlich einer geringfügigen Verlängerung der Arbeitszeit in den Pflanzungen zu, erklärte aber, er könne nicht weiter nachgeben, ohne alle Ortho-Fraktionen zu konsultieren. Jeffers machte ähnliche Vorbehalte in bezug auf die Percell-Gruppe.
Carl selbst sprach für die ehemaligen Astronauten und die Hawaiianer. Was würde ich ohne diese unverdrossenen Idealisten tun? dachte er bei sich, während das Tauziehen weiterging. Es gibt nicht annähernd genug von ihnen…
Schließlich stürzte er sich in das verbale Kreuzfeuer und brachte sie zu einem Kompromiß, mit dem sich leben ließ. Er gebrauchte mühsam erworbene Überredungskünste, um Malcolm zu einer Handlungsweise zu bewegen, der – wie er meinte – jeder vernünftige Mensch sofort zustimmen würde. Inzwischen aber war er den störrischen Eigensinn der menschlichen Art gewohnt und hatte sich mit ihm abgefunden.
Und dies war bei weitem nicht die wichtigste Streitfrage. Früher oder später würden sie auch Quiverian und Sergejow, die Vertreter der extremsten Richtungen, an einen Tisch bringen müssen. Und all dies Gezänk wegen notwendiger Arbeit in den Pflanzungen! Die Verhandlungen um die Fertigung der Rückstoßgeräte würden sich noch viel schwieriger gestalten. Was hier geschah, ähnelte den nichtendenwollenden Querelen im Nahen Osten. Auch nachdem Sauls Israel in zerstrittene Theokratien auseinandergebrochen war, gingen die Streitigkeiten zwischen sektenartigen Gruppen und Fraktionen weiter, ein bis zum Überdruß immer wieder inszeniertes Schauspiel von Rivalität, Verbitterung und Dummheit. Niemand konnte über seine Nase hinaussehen. Nein, Halley war nicht mehr und nicht weniger als ein Spiegelbild der übrigen Menschheit.
Nach der Versammlung blieb er noch eine Weile sitzen und sah zu, wie der Sonnenuntergang das Panorama von Hongkong vergoldete. Er fragte sich müßig, ob die Stadt überhaupt noch existiere; vor zwanzig Jahren hatte es Meldungen über kriegerische Auseinandersetzungen in der Gegend gegeben. Er würde sich einmal vergewissern müssen. Oder vielleicht lieber nicht. Die Stadt, die dort in ihrem rosigen Sonnenuntergang leuchtete, sah besser aus, wenn man sie mit dem Gedanken betrachtete, sie könnte noch existieren.
Schließlich rappelte er sich auf und ging hinunter zum Kühlfachkomplex 1. Die Erwärmung der ausgewählten Arbeitskräfte nahm ihren normalen Verlauf; er hatte sich während des Tages wiederholt durch die Fernüberwachung vergewissert. In Schutzanzug und Helm betrat er das dunstige Reich ewiger Kühle, hatte es aber nicht eilig, in den Vorbereitungsraum zu kommen. Die Leute waren noch an der Arbeit.
Vor Lani Nguyens Kühlfach machte er halt und überprüfte automatisch die Flüssigkeitszufuhr. Er war oft hierher gekommen, um in diesen Zufluchtsort seligen Vergessens zu blicken und alle zu beneiden, die hier lagen. Er starrte den beschlagenen Deckel des Kühlfaches an und stellte sich die Gestalt vor, die schlafend dahinter ruhte. Es kostete ihn Mühe, sich nach so langer Zeit ihre Gesichtszüge zu vergegenwärtigen.
Ich vermisse dich, Lani, dachte er. Als ich dich kannte, war ich ein junger Dummkopf. Nicht, daß ein älterer Dummkopf besser wäre. Damals, als Cruz starb… Wir wissen, wie es hätte sein sollen, nicht wahr? Er lächelte trübe. Du solltest sicher bis zum Ende der Reise schlafen. Aber auch dich werden wir bald brauchen. Und hoffen wir, daß die Wiederbelebung der in dir schlafenden Krankheit nicht den entscheidenden Vorsprung geben wird, den sie braucht…
Er konnte seine Ungeduld nicht länger bezähmen, ging in den Vorbereitungsraum und wartete, bis die Techniker ihre seit Stunden andauernde sorgfältige
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