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Im Herzen des Kometen

Im Herzen des Kometen

Titel: Im Herzen des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford , David Brin
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seinen Zweck nur unter Druck. Es war ausgeschlossen, daß die Arabesken eine funktionale Bedeutung hatten. Dennoch zweifelte Carl nicht daran, daß Vidor, wenn man ihn bedrängte, eine Erklärung für jeden ausgepreßten Strang, jeden auf Kragsteinen ruhenden Bogen und all die fein ziselierten Formen finden würde. Carl hatte ihn nicht nach dem Sinn und Zweck dieser Strukturen gefragt. Ein Mensch mit Phantasie konnte nicht in sturer Engstirnigkeit allein auf das Praktische fixiert bleiben; er sehnte sich danach, durch sein Können etwas auszudrücken, was ihn bewegte, und wenn es nur ein für ihn charakteristischer Schnörkel war, der dem mehr oder weniger dauerhaften Material etwas von seinem Wesen mitteilte. Vielleicht war es sogar etwas Tieferes, gebunden an den Geist, der einen einsamen Primatenstamm so weit von seiner warmen, feuchten Heimatwelt weggeführt hatte.
    Carl erinnerte sich der einleitenden Zeilen eines Gedichts, das Virginia ihm vor Monaten gezeigt hatte. Irgendwie waren sie haften geblieben.
     
Ruhig ist die See heut abend.
Die Zeit steht still, der Mond legt glänzend seine Bahn.
     
    Das Gedicht hatte etwas mit guten Omina, Stränden und Ozeanen zu tun, und Virginia hatte in ihm eine von diesen Bildern erzeugte Resonanz gespürt. Die Reise hier draußen, das Segeln gegen den Sog der Anziehungskraft, ähnelte in mancher Weise der großen alten Zeit der Seefahrt. In den ersten Monaten nach der Landung hatten sie einen Bruchteil des Sonnenwindes genutzt, um die Ausgasung des Kometenkerns zu steuern. Dann waren sie vor diesem Wind gesegelt und hatten das Sonnenlicht nur zur Stromerzeugung benutzt. Der entscheidende Zeitpunkt nahte jetzt, wo ihr Eisschiff auf einen neuen, bislang unbefahrenen Kurs gebracht werden mußte.
    Er lächelte in sich hinein. Der Vergleich mit der Seefahrt früherer Zeiten gefiel ihm. Seit sie die Edmund Halley verloren hatten, war in ihm die Sehnsucht nach einem Schiff gewachsen. Doch wie alle anderen mußte er sich damit abfinden, daß dieser Brocken aus Eis und Gestein alles war, was er noch hatte.
    Es war so offensichtlich, daß es Virginia nicht hatte entgehen können. Sie hatte ihm dieses Gedicht als eine Art Trost überspielt, und zu seiner Verwunderung hatte er an einigen der Gedichte und Texte, die sie gelegentlich auf seinen Datenanschluß übertrug, Gefallen gefunden. Das wäre für den dreisten, von sich eingenommenen jungen Mann, der er vor fünfunddreißig Jahren gewesen war, völlig unmöglich gewesen. Er war in dieser Zeit nur um sieben Jahre gealtert, doch kam dieser Spanne ihr eigenes Gewicht zu. Sein jüngeres Selbst schien ihm jetzt entfernt, unreif, unerklärlich blind.
    Er hoffte, daß er für Virginia kein offenes Buch war. Sonst mußte sie bald herausfinden, wieviel von all dieser Hoffnung und Euphorie trügerisch war, weil es auf einer unvermeidlichen Lüge beruhte…
    Daran dachte er nicht gern zurück. Kopfschüttelnd setzte er sich in Bewegung und glitt mit langen Schritten über das Eis, die Arbeiten zu beaufsichtigen. Bei der Arbeit bleiben und nicht zuviel denken, denn das war ohnehin nicht seine Stärke.
    Er umging einige Maschinen und erreichte den langen, rampenartig eingetieften Graben von Anlage 6. Ein fertiggestelltes Rückstoßgerät füllte den rampenartigen Trog. Zwei Ingenieure erprobten ein aus einheimischem Eisen gemachtes Schwungrad.
    Die Anlagen sollten in genau berechneten Winkeln und Zeitabständen eingesetzt werden. Ihre Bewährungsprobe mußten sie im Einsatz parallel zum Äquator bestehen, um die fünfzigstündige Rotationsperiode des Kometen zu verlangsamen und schließlich zum Stillstand zu bringen. Anschließend sollten die Geräte um eine im Graben angelegte Achse geschwenkt werden, bis sie nahezu senkrecht zum Äquator und auf das Massezentrum des Kometen ausgerichtet wären. Dann erst konnten die wiederholten Entladungen erfolgen, die, über Jahre hinweg fortgesetzt, der langsamen, gemessenen Kehrtwendung des Kometen um den Punkt der Sonnenferne in winzigen Schubimpulsen zusätzliche Schwungkraft verleihen würden. Das unablässige Zusammenwirken aller Rückstoßgeräte würde so nach den Berechnungen die Bahnveränderung bewirken.
    »Hübsch, nicht?«
    Jeffers kam mit leichten, geübten Sprüngen näher. Seine Brustbinde zeigte Schraubenschlüssel und Zange gekreuzt in einem Würfel, war aber arg befleckt, so daß das Zeichen kaum noch zu erkennen war.
    »Ja. Alles ausgemessen? Bereit zur horizontalen

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