Im Herzen des Kometen
Stillstand.
»Saulie«, quiekte die winzige Stimme.
Er streckte die Hand aus, bückte sich und die kleine Maschine lief ihm wie eine schlanke Spinne von der Größe eines Zwergpinschers den Arm hinauf. Ihre klebrigen Füße kitzelten seine Haut mit jedem Schritt.
»Hallo, kleine Ginnie«, begrüßte er die winzige Maschine. »Wie geht es deiner großen Schwester?«
Die Augenzelle zwinkerte. »Gut, Saulie. Virginia sagt, sie möchte mit dir sprechen. Es eilt nicht, sagt sie.«
Er lächelte. Virginia hätte unmittelbar durch die kleine Maschine sprechen können. Schließlich ›lebte‹ sie überall in dem komplexen kybernetischen System unter dem Eis. Aber die umfassende Speicher- und Programmeinheit, die ihre Essenz enthielt, hatte aus irgendeinem Grund entschieden, dies so selten wie möglich zu tun. Freilich war etwas von ihr in jeder der Maschinen, von diesen kleinen ›Ginnies‹ bis zu den kybernetischen Krankenpflegern, die mit den Patienten Karten spielen und schwatzen konnten. Aber wenn man mit Virginia sprechen wollte, mußte man es im allgemeinen von einem bestimmten Ort aus tun, den sie wählte.
»Gut. Sag deiner Herrin, daß ich im Park mit ihr sprechen werde!«
Der kleine Robot summte, konsultierte, und antwortete.
»Auch deine Herrin, Saulie!«
Er lachte laut auf. Dieses Modell war sicherlich nicht imstande, ihn mit solchen Schlagfertigkeiten zu necken. Virginia selbst mußte mitgehört haben.
»Du bist ein kluges kleines Ding«, sagte er der Maschine. »Ich will dir was sagen, wir könnten mal zusammenkommen, wenn Mama nicht aufpaßt, du und ich.«
»Biest!« Ein kleiner Greifarm kam herab und zwickte ihn in die Schulter.
»Au!« Aber die Maschine sauste davon, bevor er sie erwischen konnte und war im Nu zwischen schwankenden Halmen und Laub verschwunden.
Ich könnte ein Tier machen, das dich einfängt, dachte er. Wenn wir das ewige Leben hätten, du mit deinen Maschinen und ich mit meinen Tieren… welche Spiele könnten wir spielen…!
Wenn wir die Zeit hätten.
Saul drehte sich um, stützte die Füße gegen den Baum und stieß sich durch das Dickicht weiter zu einem Ausgang, dessen Aussehen zwischen einer klassischen Keramik-Metall-Luftschleuse und der Klappe eines riesigen lebenden Herzens ungefähr die Mitte hielt.
Die Stollen waren trüber erhellt und etwas kühler als die bewohnten Räume. Elektrische Beleuchtungskörper legten Inseln weichen Lichtscheins entlang den bewachsenen Stollen.
Saul war seit langem die unter dem Gefrierpunkt liegenden Temperaturen gewohnt und trug normalerweise nicht viel mehr als einen Umhang und Stiefel. Die Kälte machte kaum etwas aus, solange man gut ernährt war und unter einer Decke schlafen konnte, die aus dem weichen Material der Seidenraupe gewebt war.
Außerdem hatten sie alle mittlerweile Häute entwickelt, die wenig abstrahlten und die meiste Körperwärme festhielten – ein weiteres Produkt sorgfältig geschneiderter Symbiose.
Sauls neuestes Projekt war eine Organelle, die tatsächlich einen Platz im Inneren menschlicher Körperzellen finden würde… etwas wie Mitochondrien, nur kleiner. Sie würde die meiste Zeit im Ruhezustand verbleiben, aber wenn die auslösende Situation eintrat, wie etwa ein rasches Absinken der Temperatur, würde sie Glykogene erzeugen und die Zellwände versteifen, um Zellschäden auch beim Gefrieren des Körpers zu verhindern.
Sollte die Methode erfolgreich sein, würden Kühlfächer überflüssig. Jede Person würde jederzeit über die Fähigkeit verfügen, sich in einer Eisnische niederzulassen und einfach einzuschlafen, um dort Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte zu überdauern.
Freilich würde die Entwicklung einer derart fundamentalen gentechnischen Veränderung bei Warmblütern lange Zeit dauern. Dies war nicht so einfach wie die Modifikation eines bereits existierenden Organismus wie dem eines Fuchses oder einer Henne. Diese Entwicklung bedeutete Eingriffe in die Arbeitsweise der Biochemie der Zelle.
Ohne die Gewißheit, daß sie den kommenden Monat überleben würden, fragte er sich manchmal, warum er so angestrengt an diesem Vorhaben arbeitete.
Er betrachtete es gern als eine Art Geschenk. Die Menschheit der Erde würde diese neue Möglichkeit ebenso begrüßen wie die Expeditionsteilnehmer, denn die Technik würde unter Umständen den Weg zu den Sternen öffnen.
Vielleicht würde es ein Abschiedsgeschenk sein, weil die vor ihnen liegenden Monate voller Gefahren waren. Und selbst wenn
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